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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Gelegenheit bot, haben wir uns unterhalten. Das letzte Mal an einem Regentag, kurz vor den Abschlussprüfungen, da haben wir ein herrliches Stück Mandelkuchen miteinander geteilt. Mandelkuchen und dazu heißen Tee mit Honig. Sie war damals hochschwanger und umso schöner. Ich werde nie vergessen, was sie mir an diesem Tag anvertraut hat.«
    »Was denn? Bitte, sagen Sie es mir.« Baba hatte Mutter immer nur in allgemeinen Worten beschrieben, die wenig besagten, in Sätzen wie »sie war eine große Frau«. Ich aber war stets auf Einzelheiten aus gewesen; mich interessierte viel mehr, in welcher Tönung ihr Haar im Sonnenlicht schimmerte, welche Eiskrem sie bevorzugte, was für Lieder sie vor sich hin summte oder ob sie womöglich an den Fingernägeln kaute. Baba hatte seine Erinnerungen an sie mit ins Grab genommen. Dass er sich so zugeknöpft gegeben hatte, war vielleicht dem schlechten Gewissen geschuldet, der Reue über sein Verhalten so kurz nach ihrem Tod. Oder vielleicht hatte ihn der Verlust allzu sehr geschmerzt, als dass es ihm möglich gewesen wäre, von ihr zu sprechen. Vielleicht war beides Grund für seine Verschlossenheit.
    »Sie sagte: >Ich habe Angst.< Ich fragte, warum, und sie antwortete: >Weil ich so glücklich bin, Doktor Rasul. Schieres Glück ist beängstigend.< - >Wieso denn das?<, wollte ich wissen, und sie sagte: >Sie lassen einen nur dann so glücklich sein, wenn sie etwas von dir wollen.< ->Ach was<, sagte ich, >das ist doch dummes Zeug.<«
    Farid nahm mich beim Arm. »Wir sollten jetzt gehen, Amir«, flüsterte er mir zu. Ich riss mich von ihm los. »Was sonst noch? Hat sie noch etwas gesagt?«
    In der Miene des Alten zeigte sich Bedauern. »Ich wünschte mich erinnern zu können, schon allein Ihnen zuliebe. Aber alles andere habe ich vergessen. Ihre Mutter ist schon lange tot, und meine Erinnerungen sind so verschüttet wie die Räume in dieser Stadt. Tut mir Leid.«
    »Aber es wird Ihnen doch noch irgendetwas einfallen, irgendeine Kleinigkeit.«
    Der Alte lächelte. »Ich will versuchen, mich zu erinnern. Versprochen. Kommen Sie zurück, suchen Sie mich.«
    »Danke«, sagte ich. »Vielen herzlichen Dank.« Es war mir ernst. Jetzt wusste ich, dass meine Mutter Mandelkuchen und heißen Tee mit Honig gemocht hatte, dass sie das Wort »schier« benutzte und sich wegen ihres Glücks Sorgen machte. Ich hatte von diesem alten Bettler auf der Straße mehr über meine Mutter erfahren als von Baba.
    Auf dem Weg zurück zum Wagen mochte weder Farid noch ich kommentieren, was den meisten Nicht-Afghanen als ein allzu unwahrscheinlicher Zufall vorkommen würde, dass nämlich ein Bettler tatsächlich meine Mutter gekannt hatte. Doch wir beide wussten, dass in Afghanistan und besonders in Kabul solche Absonderlichkeiten durchaus an der Tagesordnung waren. Baba pflegte zu sagen: »Steck zwei x-beliebige Afghanen für zehn Minuten in ein Zimmer, und sie werden bald herausfinden, über welche Linien sie miteinander verwandt sind.«
    Wir ließen den Alten hinter uns zurück. Ich war entschlossen, auf sein Angebot einzugehen und zurückzukommen, um nachzufragen, ob ihm weitere Geschichten über meine Mutter eingefallen seien. Doch ich sah ihn nie wieder.
    Wir fanden das neue Waisenhaus im Norden von Karteh-Seh, am Ufer des ausgetrockneten Kabul-Flusses. Es war ein flaches kasernenartiges Gebäude mit zerschossenen Wänden und zugenagelten Fenstern. Farid hatte mir auf dem Weg hierher erklärt, dass von allen Vierteln in Kabul keines so sehr vom Krieg in Mitleidenschaft gezogen worden war wie Karteh-Seh. Davon konnte ich mich nun, da wir aus dem Wagen stiegen, mit eigenen Augen überzeugen. Aufgesprengte Straßen säumten die bizarren Mauerreste ausgebombter Häuser. Wir kamen an dem verrosteten Gerippe eines umgestürzten Autos vorbei, an einem halb im Schutt versunkenen Fernsehapparat ohne Bildschirm, an einer Wand, auf die mit schwarzer Farbe die Worte Zenda bad Taliban! gesprüht waren: Lang leben die Taliban!
    Ein klein gewachsener, dünner Mann mit schütterem Haar und struppigem grauem Bart öffnete die Tür. Er trug ein abgewetztes Tweedjackett, eine einfache Strickmütze, und die
    Brille, die auf die Nasenspitze heruntergerutscht war, hatte ein gesprungenes Glas. Die winzigen Augen kugelten hin und her wie schwarze Erbsen, den Blick mal auf mich, mal auf Farid gerichtet. »Salaam alaykum«, grüßte er.
    »Salaam alaykum«, sagte ich und zeigte ihm das Polaroidfoto. »Wir suchen diesen Jungen.«
    Er

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