Drachenläufer
darum.«
Andrews drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und spitzte die Lippen. »Es hat keinen Zweck.« »Wie bitte?«
»Ihr Antrag auf Adoption hat keine Aussicht auf Erfolg. Darum rate ich Ihnen, es gar nicht erst zu versuchen.«
»Danke für den Rat«, entgegnete ich. »Dürfte ich vielleicht wissen, warum?«
»Sie fragen nach der ausführlichen Antwort«, sagte er mit gleichgültiger Stimme und unbeeindruckt von meinem barschen Ton. Er legte die Handflächen gegeneinander, als wollte er vor der Jungfrau Maria niederknien. »Gesetzt den Fall, Ihre Geschichte entspricht der Wahrheit - obwohl ich meine Pension darauf verwette, dass ein Großteil entweder frei erfunden oder ausgelassen worden ist. Wie auch immer, Sie sind hier, der Junge ist hier, und nur das ist von Belang. Trotzdem, Ihrem Antrag stehen ein paar gewichtige Hindernisse im Weg, so zum Beispiel der Umstand, dass dieses Kind keine Waise ist.« »Und ob.«
»Aber nicht rechtlich.«
»Seine Eltern sind auf offener Straße exekutiert worden. Vor den Augen der Nachbarn«, sagte ich und war froh, dass Suhrab kein Englisch verstand. »Haben sie Sterbeurkunden?«
»Sterbeurkunden? Wir sprechen hier über Afghanistan. Da haben die meisten Menschen nicht einmal Geburtsurkunden.«
Seine hellen Augen blieben ungerührt. »Ich bin für die Gesetze nicht verantwortlich, Sir. Ihre Empörung sei Ihnen unbenommen, trotzdem müssen Sie beweisen, dass die Eltern tot sind. Dass der Junge Vollwaise ist, muss amtlich bestätigt sein.«
»Aber ... «
»Sie wollten die ausführliche Antwort haben, ich gebe sie Ihnen. Ihr nächstes Problem wird darin bestehen, die zuständige Behörde im Heimatland des Jungen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Und das dürfte selbst unter günstigeren Umständen sehr schwer fallen, denn wie sagten Sie doch selbst: Wir sprechen hier über Afghanistan. Kabul hat leider keine amerikanische Botschaft. Das macht die Sache ausgesprochen kompliziert, um nicht zu sagen unmöglich.«
»Was schlagen Sie mir vor - dass ich ihn wieder auf der Straße aussetze?«
»Davon war nicht die Rede.«
»Er ist sexuell missbraucht worden«, sagte ich und dachte an die Fußschellen, die geschminkten Augen.
»Bedauerlich«, sagte sein Mund. Seinem Augenausdruck nach hätte es in unserem Gespräch auch um das Wetter gehen können. »Doch das wird für die Einwanderungsbehörde kein Grund sein, diesem jungen Mann ein Visum auszustellen.«
»Was sagen Sie da?«
»Ich sage, wenn Sie helfen wollen, dann überweisen Sie eine Spende an eine seriöse Hilfsorganisation. Oder bieten Sie einem Flüchtlingslager Ihre Dienste an. Jedenfalls raten wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt allen US-Bürgern entschieden davon ab, afghanische Kinder zu adoptieren.«
Ich stand auf. »Komm, Suhrab«, sagte ich auf Farsi. Suhrab schmiegte sich an mich, den Kopf an meine Hüfte gelehnt. Ich erinnerte mich an das Polaroidfoto, auf dem er und Hassan in ganz ähnlicher Pose zu sehen waren. »Darf ich Sie noch etwas fragen, Mr. Andrews?«
»Bitte.«
»Haben Sie Kinder?«
Zum ersten Mal zeigten seine Augen Verunsicherung. »Nun? Die Frage müsste doch einfach zu beantworten sein.«
Er schwieg. »Das dachte ich mir«, sagte ich und nahm Suhrab bei der Hand. »Auf Ihrem Platz müsste jemand sitzen, der weiß, was es heißt, ein Kind haben zu wollen.« Ich wandte mich von ihm ab.
»Darf ich nun Sie noch etwas fragen?«, rief mir Andrews nach.
»Nur zu.«
»Haben Sie diesem Kind versprochen, es mit sich zu nehmen?« »Und wenn es so wäre?«
Er schüttelte den Kopf. »Kindern Versprechungen zu machen ist ziemlich heikel.« Seufzend zog er die Schublade wieder auf. »Sind Sie entschlossen, die Sache weiterzuverfolgen?«, fragte er und kramte in seinen Unterlagen.
»Allerdings.«
Er reichte mir eine Visitenkarte. »Dann rate ich Ihnen zu einem guten Anwalt, der sich in Einwanderungsfragen auskennt. Omar Faisal hat seine Kanzlei hier in Islamabad. Sie können ihm sagen, dass ich Sie geschickt habe.«
Ich nahm die Karte entgegen und murmelte: »Danke.«
»Viel Glück«, sagte er. Als wir den Raum verließen, warf ich einen Blick über die Schulter zurück. Andrews stand in einem Rechteck aus Licht, starrte wie geistesabwesend zum Fenster hinaus und drehte die Tomatenpflanzen in die Sonne.
»Alles Gute«, sagte die Empfangsdame, als wir an ihrem Schreibtisch vorbeikamen.
»Ihr Chef sollte sich bessere Manieren zulegen«, sagte ich und erwartete, dass sie die Augen verdrehen
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