Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
Vom Netzwerk:
oder entgegen würde: »Wem sagen Sie das?« Stattdessen aber bemerkte sie mit gesenkter Stimme: »Armer Ray, seit dem Tod seiner Tochter ist er wie ausgewechselt.«
    Ich kräuselte die Stirn.
    »Selbstmord«, flüsterte sie.
    Während der Fahrt zurück zum Hotel hielt Suhrab die Stirn ans Fenster gelehnt und starrte hinaus auf die vorbeifliegenden Häuser und Reihen der Gummibäume. Die Scheibe beschlug, trocknete und beschlug aufs Neue. Ich wartete darauf, dass er mir eine Frage zu dem Gespräch in der Botschaft stellte, doch das tat er nicht.
    Hinter der geschlossenen Badezimmertür lief Wasser. Seit unserer Ankunft im Hotel nahm Suhrab an jedem Abend vor dem Zubettgehen ein ausführliches Bad. Im Kabul war fließend heißes Wasser Mangelware, so rar wie Väter. Suhrab verbrachte nun jedes Mal fast eine geschlagene Stunde in der Wanne, eingetaucht in Seifenwasser, und schrubbte sich. Ich saß auf der Bettkante und rief Soraya an. Mein Blick war auf die dünne Lichtspur unter der Badezimmertür gerichtet. Findest du dich immer noch nicht sauber genug, Suhrab?
    Ich informierte Soraya über das, was ich von Raymond Andrews erfahren hatte. »Was hältst du davon?«, fragte ich.
    »Wir sollten davon ausgehen, dass er falsch liegt.« Sie berichtete davon, mehrere Agenturen angerufen zu haben, die Adoptionen von ausländischen Kindern in die Wege leiteten. Sie hatte noch keine Vermittlungsstelle ausfindig gemacht, die auch in Afghanistan tätig war, wollte aber weitersuchen.
    »Wie haben deine Eltern die Nachricht aufgenommen?«
    »Madar freut sich für uns. Du weißt ja, sie hält große Stücke auf dich, Amir; in ihren Augen kannst du gar nichts falsch machen. Was Padar angeht... nun, bei ihm weiß man nicht so recht. Er sagt nicht viel.«
    »Und du? Bist du glücklich?«
    Ich hörte, wie sie den Hörer von einer Hand in die andere wechselte. »Ich denke, dass es dein Neffe gut bei uns haben wird und dass es auch für uns schön sein wird.« »Ich hatte denselben Gedanken.«
    »Ist doch verrückt, nicht wahr, aber ich frage mich bereits, was er am liebsten isst und was wohl sein Lieblingsfach in der Schule sein wird. Ich sehe mich schon dabei, wie ich ihm bei seinen Hausaufgaben helfe.« Sie lachte. Im Badezimmer war der Wasserhahn endlich zugedreht. Ich hörte Suhrab in der Wanne herumrutschen und Wasser über den Rand schwappen.
    »Du wirst es großartig machen«, sagte ich.
    »Oh, fast hätte ich's vergessen! Ich habe Kaka Sharif angerufen.«
    Ich erinnerte mich daran, wie Kaka Sharif während unserer nika ein Gedicht vorgetragen hatte. Als wir, Soraya und ich, von allen Seiten fotografiert, lächelnd auf die Bühne zugegangen waren, hatte sein Sohn den Koran über unsere Köpfe gehalten. »Was hat er gesagt?«
    »Nun, er wird sich für uns stark machen. Er hat Freunde beim INS«, sagte sie. »Wo?«
    »Der Einwanderungsbehörde.«
    »Das sind gute Nachrichten«, sagte ich. »Ich kann es kaum erwarten, dass du Suhrab endlich kennen lernst.«
    »Ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen«, sagte sie. Lächelnd legte ich den Hörer auf.
    Wenige Minuten später tauchte Suhrab aus dem Badezimmer auf. Seit der Unterredung mit Andrews hatte er kaum ein Dutzend Worte von sich gegeben, und meine Versuche, ein Gespräch mit ihm anzufangen, waren stets nur mit einem Kopfnicken oder einer einsilbigen Antwort quittiert worden. Er stieg ins Bett und zog die Decke unters Kinn. Es dauerte nicht lange, und er fing zu schnarchen an.
    Ich wischte auf dem beschlagenen Spiegel eine kleine Stelle blank und rasierte mich mit dem hoteleigenen Rasiermesser, einem jener älteren Modelle mit auswechselbarer Klinge. Anschließend nahm auch ich ein Bad und lag in der Wanne, bis das heiße Wasser kalt und meine Haut schrumpelig war. Ich lag, sinnierte, träumte ...
    Omar Faisal war untersetzt, dunkelhäutig, hatte Grübchen in den Wangen, schwarze Knopfaugen und ein freundliches Lächeln, das eine Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen offenbarte. Das graue, schüttere Haar hatte er hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug einen braunen Cordanzug mit Lederflicken an den Ellbogen und hielt eine abgegriffene überfüllte Aktentasche, deren Griff abgerissen war, zwischen Brust und Arm geklemmt. Er zählte zu jener Sorte Mensch, die jeden zweiten Satz mit einem Lachen und einer unnötigen Entschuldigung beginnen. Nichts für ungut, ich wäre dann gegen fünf bei Ihnen. Lachen. Als ich bei ihm angerufen hatte, hatte er darauf

Weitere Kostenlose Bücher