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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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eine Waisenpetition einreichen. Sie füllen dann die 1-600 aus und lassen den vorgeschriebenen Eignungstest über sich ergehen.«
    »Wie bitte? Ich kann nicht ganz folgen.«
    »Verzeihung, die 1-600 ist ein Antragsformular, das der INS ausgibt. Der Eignungstest wird von einer Vermittlungsstelle Ihrer Wahl bei Ihnen zu Hause durchgeführt«, erklärte Omar. »Er soll sicherstellen, dass Sie und Ihre Frau nicht übergeschnappt und gemeingefährlich sind.«
    »Das geht nicht«, sagte ich mit Blick auf Suhrab. »Ich habe ihm versprechen müssen, ihn nicht wieder in ein Heim zu stecken.«
    »Aber da läge, wie gesagt, Ihre beste Chance.«
    Wir unterhielten uns noch eine Weile. Dann begleitete ich ihn nach draußen zu seinem Wagen, einem alten VW-Käfer. Die Sonne ging gerade unter, im Westen lag ihr Widerschein flammend rot über Islamabad. Ich sah, wie die Federung des Wagens unter Omars Gewicht nachgab, als er sich hinter das Steuerrad quetschte. Er kurbelte das Fenster herunter.
    »Amir?«
    »Ja.«
    »Hab ich Ihnen eigentlich schon gesagt, dass ich Ihr Vorhaben großartig finde?« Er winkte und fuhr los. Ich schaute ihm nach und wünschte, Soraya wäre bei mir.
    Suhrab hatte den Fernseher ausgeschaltet, als ich ins Zimmer zurückkam. Ich setzte mich auf die Kante meines Bettes und bat ihn, an meiner Seite Platz zu nehmen. »Mr. Faisal sieht eine Möglichkeit, wie wir deine Einreise nach Amerika in die Wege leiten können.«
    »Und?« Seit Tagen zeigte Suhrab wieder einmal ein flüchtiges Lächeln. »Wann fahren wir?«
    »Tja, das ist der Punkt. Wir müssen uns noch eine Weile gedulden. Aber er sagt, dass es möglich ist, und will uns dabei helfen.« Ich legte ihm die Hand auf den Nacken. Draußen hallte die Aufforderung zum Gebet durch die Straßen.
    »Wie lange?«, wollte Suhrab wissen.
    »Ich weiß es nicht. Eine Weile.«
    Suhrab zuckte mit den Achseln und lächelte, diesmal schon ein bisschen breiter. »Egal. Ich kann warten. Das ist wie mit sauren Äpfeln.« »Sauren Äpfel?«
    »Einmal, da war ich noch ganz klein, bin ich auf einen Baum geklettert und habe grüne, saure Äpfel gegessen. Davon ist mein Bauch angeschwollen und so hart geworden wie eine Trommel. Es hat schrecklich wehgetan. Und Mutter hat gesagt, dass mir nicht schlecht geworden wäre, wenn ich gewartet hätte, bis die Äpfel reif sind. Wenn ich jetzt etwas wirklich gerne haben will, denke ich daran, was sie über die Äpfel gesagt hat.«
    »Saure Äpfel«, wiederholte ich. »Mashallah, du bist der schlauste kleine Junge, der mir je begegnet ist, Suhrab ja«.« Ich sah, wie er rote Ohren bekam.
    »Werden Sie mir diese große Brücke zeigen? Die aus dem Nebel aufragt?« »Ganz bestimmt«, antwortete ich. »Ganz bestimmt.«
    »Und die Straßen, auf denen man nur die Motorhaube und den Himmel sieht?« »Die zeige ich dir auch, jede einzelne«, versprach ich und drängte eine Träne zurück. »Ist Englisch zu lernen schwer?«
    »Ich würde sagen, in etwa einem Jahr wirst du genauso gut Englisch sprechen können wie Farsi.« »Wirklich?«
    »Ja.« Ich legte einen Finger an sein Kinn und sorgte dafür, dass er mich ansah. »Aber es gibt da noch einen Haken, Suhrab.« »Welchen?«
    »Nun, Mr. Faisal meint, dass es helfen würde, wenn ... wenn du bereit wärst, noch eine Zeit lang in einem Heim für Kinder zu wohnen.«
    »Heim für Kinder?« Das Lächeln verschwand. »Sie meinen ein Waisenhaus.« »Es wäre nur für kurze Zeit.« »Nein«, sagte er. »Bitte, nein.«
    »Suhrab, es wäre wirklich nur für kurze Zeit. Das verspreche ich.«
    »Sie haben mir versprochen, dass ich nie wieder an so einen Ort komme, Amir Aga«, sagte er mit brüchiger Stimme, und aus seinen Augen quollen Tränen. Ich kam mir vor wie ein Schuft.
    »Das ist etwas anderes. Es wäre hier, in Islamabad, nicht in Kabul. Und ich würde immer zu Besuch kommen, bis wir dann endlich gemeinsam nach Amerika fliegen können.«
    »Bitte. Bitte, nein!«, schluchzte er. »Ich habe Angst. Man wird mir wehtun. Ich will nicht.«
    »Dir wird niemand wehtun. Nie wieder.«
    »Doch, das werden sie! Alles andere ist gelogen. Bitte, lieber Gott!«
    Ich wischte die Tränen, die ihm über die Wange liefen, mit meinem Daumen ab. »Saure Äpfel, du weißt doch, was es damit auf sich hat«, sagte ich leise. »Es wäre dasselbe.«
    »Nein, wäre es nicht. Ich will nicht in ein Heim. Bitte, nein!« Er zitterte. Rotz und Tränen troffen ihm von der Oberlippe.
    »Schhhhh.« Ich schlang die Arme um den bebenden

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