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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Etwas, das du nicht weißt.«
    »Bitte, Rahim Khan -«
    »Sanaubar war nicht Alis erste Frau.«
    Nun blickte ich auf.
    »Er war schon einmal verheiratet gewesen, mit einer Hazara-Frau aus der Jaghori-Gegend. Das war lange vor deiner Geburt. Sie waren drei Jahre verheiratet.« »Was hat das denn mit dieser Sache zu tun?«
    »Sie hat ihn nach drei kinderlosen Jahren verlassen und einen Mann in Khost geheiratet. Dem hat sie drei Töchter geschenkt. Das versuche ich dir zu sagen.«
    Ich begann zu begreifen, wohin das führte. Aber ich wollte den Rest gar nicht hören. Ich hatte ein gutes Leben in Kalifornien, ein hübsches viktorianisches Haus mit einem Spitzdach, eine gute Ehe, eine vielversprechende Schriftstellerkarriere, Schwiegereltern, die mich liebten. Ohne mich.
    »Ali war steril«, sagte Rahim Khan.
    »Nein, das war er nicht. Sanaubar und er hatten Hassan, oder etwa nicht? Sie hatten Hassan zusammen und...«
    »Nein, das hatten sie nicht«, sagte Rahim Khan.
    »Aber natürlich!« »Nein, Amir, das hatten sie nicht.« »Aber wer ist denn dann ... ?« »Ich glaube, du weißt, wer.«
    Ich kam mir wie ein Mann vor, der einen steilen Abhang hinunterrutscht und erfolglos versucht, sich an Büschen und dornigem Gestrüpp festzuklammern. Das Zimmer hob und senkte sich, schwankte von einer Seite zur anderen. »Hat Hassan es gewusst?«, sprach ich durch Lippen, die sich nicht wie meine eigenen anfühlten. Rahim Khan schloss die Augen. Schüttelte den Kopf.
    »Ihr Mistkerle«, murmelte ich. Stand auf. »Ihr gottverdammten Mistkerle!«, schrie ich. »Ihr seid nichts weiter als ein Haufen gottverdammter Scheißlügner! Gottverdammte Hurensöhne.«
    »Bitte setz dich wieder«, sagte Rahim Khan.
    »Wie konntet ihr das nur vor mir geheim halten? Und vor allem vor ihm?«, brüllte ich.
    »Bitte denk doch einmal nach, Amir jan. Es war eine peinliche Situation. Die Leute hätten getuschelt. Alles, was ein Mann damals besaß, war seine Ehre, sein Name, und wenn die Leute geredet hätten ... Wir konnten niemandem davon erzählen, das musst du doch einsehen.« Er streckte die Hand nach mir aus, aber ich ignorierte sie. Ging auf die Tür zu.
    »Bitte, Amir jan, geh nicht.«
    Ich öffnete die Tür und wandte mich noch einmal um. »Wieso nicht? Was könntest du mir schon sagen? Ich bin achtunddreißig Jahre alt und habe gerade herausgefunden, dass mein ganzes Leben eine einzige, verdammte Lüge ist! Was könntest du mir schon sagen, was die Sache besser machen würde? Nichts. Rein gar nichts!«
    Und mit diesen Worten stürmte ich aus der Wohnung.
    18
    D ie Sonne war fast untergegangen und hatte den Himmel in Violett und Rot getaucht. Ich lief die belebte schmale Straße entlang, die von Rahim Khans Haus wegführte. Es war eine laute Straße in einem Wirrwarr von engen Gassen, die mit Fußgängern, Fahrrädern und Rikschas verstopft waren. Reklametafeln hingen an den Ecken, auf denen für Coca-Cola und Zigaretten geworben wurde; Filmplakate zeigten heißblütige Schauspielerinnen, die mit gut aussehenden dunkelhäutigen Männern auf W iesen voller Ringelblumen tanzten.
    Ich betrat ein verräuchertes kleines Samowar-Haus und bestellte eine Tasse Tee, lehnte mich im Stuhl zurück und rieb mir über das Gesicht. Das Gefühl, auf einen Abgrund zuzurutschen, ließ langsam nach. Dafür kam ich mir jetzt vor wie ein Mann, der in seinem eigenen Haus erwacht und feststellt, dass die Möbel umgestellt sind, sodass jeder vertraute Winkel ihm plötzlich fremd erscheint. In seiner Verwirrung ist er gezwungen, seine Umgebung neu zu beurteilen, sich neu zu orientieren.
    Wie hatte ich nur so blind sein können? Die Zeichen waren doch überall sichtbar gewesen. Eins nach dem anderen fiel mir nun ein: Baba hatte Dr. Kumar geholt, um Hassans Hasenscharte operieren zu lassen. Baba hatte nicht ein einziges Mal Hassans Geburtstag vergessen. Als ich Baba an dem Tag, als wir die Tulpen pflanzten, gefragt hatte, ob er schon einmal darüber nachgedacht habe, sich neue Dienstboten zu nehmen, da hatte er mich angefahren: Hassan geht nirgendwohin. Er bleibt hier bei uns, wo er hingehört. Das hier ist sein Zuhause, und wir sind seine Familie. Er hatte geweint, geweint, als Ali verkündete, dass Hassan und er uns verlassen würden.
    Der Kellner stellte eine Teetasse vor mich auf den Tisch. An der Stelle, wo sich die Tischbeine wie ein X kreuzten, befand sich ein Ring aus Messingkugeln, jede ungefähr so groß wie eine Walnuss. Eine der Kugeln hatte sich gelockert.

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