Drachenland: Roman (German Edition)
gehört. Die Tochter des Schäfers war in die Lüfte geschleppt und ebenso zugerichtet worden. Jondalrun hatte einen simbalesischen Windsegler beschuldigt – und wie sonst sollte es auch geschehen sein?
Wie sonst – wenn nicht durch diese grausamen Krallen und Zähne, die sich jetzt näherten?
Amsel sprang zurück und öffnete das Abzugsrohr des Brenners. Das Windschiff schoss in die Höhe und schaukelte wild, als der Frostdrache unter ihm hindurchflog und die Luft aufwirbelte. Amsel sah, wie der Drache sich langsam, fast gemächlich umdrehte. Er kam wieder auf das Windschiff zu, diesmal ganz nahe, machte aber keine Anstalten, anzugreifen. Dann flog er vorbei und weiter gen Norden, immer höher.
Amsel schürte wieder das Feuer, und das Windschiff stieg ebenfalls. Er musste das Geschöpf im Auge behalten! »Johan«, murmelte er, »waren diese gelben Augen das Letzte, was du im Leben sahst?«
Der Frostdrache machte eine Kehrtwendung, flog auf ihn zu, umkreiste das Windschiff und wandte sich dann wieder nach Norden. Jetzt war es ganz eindeutig, was er wollte – er wollte, dass Amsel ihm folgte.
Amsel musterte das Geschöpf. »Bist du schuld, dass sie kämpfen?«, fragte er leise. »Steckst du dahinter?«
Er zog den Brennerhebel entschlossen nach unten. Das Windschiff stieg rapide und wurde von den starken Winden erfasst. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er wurde von den Strömungen nach Norden getragen, hinaus in Richtung Drachenmeer und hin zu dem unbekannten Land, wo eine Legende keine Legende mehr war.
»Morgen um diese Stunde bin ich Königin!« Eviraes Worte stießen wie ein Dolch in Cerias Herz. »Falkenwind wird des Landesverrats angeklagt, meine Liebe. In dieser Sache ist die Familie sich einig.«
Die Prinzessin saß Ceria in einem kleinen Gemach in ihrer Villa gegenüber. Es war ein Gästeraum, luxuriös eingerichtet, mit einem Rundbett und einer Frisierkommode unter einem mit Gitterwerk verzierten Fenster. Aber Ceria wusste, dass sie keineswegs als Gast hier weilte. Man hatte sie in der Küche des Palastes festgenommen und dann rasch weggebracht, bevor Falkenwinds ergebene Wachen sie befreien konnten. Der Baron hatte Eviraes Vorgehen unterstützt.
»Falkenwind ist bald kein Monarch mehr«, sagte die Prinzessin wieder. »Und du, mein Rayanermädchen, bist das Instrument für seine Amtsenthebung!«
Ceria ließ sich ihre plötzliche Furcht nicht anmerken. Sie hatte Evirae noch nie so selbstsicher erlebt. Die nichtssagende, launische Prinzessin war verschwunden, ersetzt durch eine Frau, die versuchte, böse und grausam zu sein. Obwohl ihre Grausamkeit übertrieben erschien, ihre Niederträchtigkeit etwas absurd, war es jetzt fast glaubhaft, dass ihre langen Nägel wirklich mit einem Gift lackiert waren.
»Du weißt ja«, fuhr Evirae fort, »dass die Zusammenarbeit mit einem feindlichen Spion als Landesverrat gilt. Mehrere Wachen und ein Großteil des Palastpersonals haben gesehen, wie du versuchtest, diesen Spion aus Fandora vor einer Festnahme zu bewahren. Du bist Ministerin des Innern und stehst Falkenwind näher als die Familie selbst, und all deine Handlungen sind auch ihm anzulasten. Es ist ein trauriger Tag, wenn eine Rayanerin versucht, einen Feind Simbalas zu unterstützen.«
Ceria schwieg; die Vorstellung war unerträglich, wie die Prinzessin sie gegen Falkenwind benutzen wollte. Dann sagte Ceria leise: »Ihr habt doch den Spion noch nicht gefunden. Vielleicht kann ich helfen.«
Eviraes Augen weiteten sich wie die eines Kindes, das ein neues Spielzeug sieht. »Du möchtest ein Geständnis machen?«
Ceria richtete die Augen auf die Frisierkommode hinter Evirae. »Ich weiß nicht«, entgegnete sie. »Wenn es einen Grund für mich gäbe, zu reden … Es ist so lange her, seit ich meine Familie gesehen habe …«
Evirae lächelte. »Wer mir hilft, ist meiner Loyalität sicher, meine Liebe. Eine plötzliche Abreise könnte man sicher arrangieren, wenn du ein volles Geständnis über Falkenwinds Rolle in dieser Angelegenheit ablegst. Der Spion ist weniger wichtig, er kann sowieso nicht unbemerkt entkommen.«
»Es gibt so viel zu berichten, Prinzessin. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.« Ceria blickte auf die Tür neben der Frisierkommode. »Ich muss ganz sicher sein, dass dies unter uns bleibt.«
»Wir sind doch allein!« Evirae blickte sich nervös um.
»Nein. Ich spüre, dass jemand vor der Tür steht.«
Die Prinzessin drehte sich leise um, zog an dem Türknopf und entdeckte im
Weitere Kostenlose Bücher