Drachenland: Roman (German Edition)
wusste, wie er sie wieder verlassen sollte.
Amsel schauderte, als ein Frostdrache an der Höhle vorbeiflog. Wieder starrte er hinunter auf das Wrack des Windschiffs. Zwei der Geschöpfe erhoben sich gerade und trugen den zerbrochenen Mast in ihren Krallen davon. Sie flogen damit steil nach oben, an Amsel vorbei, sogar über die Spitze des Gipfels hinaus – dann ließen sie ihn mit einem lauten Schrei fallen. Der Mast stürzte in die Tiefe, haarscharf an einem dritten Frostdrachen vorbei, der mit einem Stück des Schiffsrumpfs zwischen den Zähnen davonflog.
Amsel klopfte besorgt auf den Beutel an seinem Gürtel und war erleichtert, dass das Brot, das er früher eingepackt hatte, noch da war. Er holte es hervor und aß es. Obwohl er eigentlich keinen Appetit hatte, wusste er, dass er alle Kraft brauchen würde.
Der Dunst unter ihm lichtete sich etwas, und etwa hundert Meter vom Wrack des Windschiffs entfernt entdeckte Amsel ein kleines Feuer. Ein Teil des Hauptsegels hing über die Kante eines riesigen Felsblocks; es brannte, und eine Rauchwolke stieg auf. Amsel starrte die dunkelblaue Wolke an und dachte für einen Augenblick, dass sie einen anderen, größeren Schatten verbarg. Dann wirbelte die Wolke davon, und hinter ihr kamen zwei gelbe Augen zum Vorschein. Die Flügel des schwarzen Frostdrachen durchpflügten die Luft über dem Feuer. Er umkreiste das brennende Segel.
Amsel dachte an den deutlichen Eindruck von Intelligenz, den er von dem Frostdrachen gewonnen hatte, als er ihn das erste Mal auf sich zukommen sah. Es war Verstand hinter diesen gelben Augen – anders als der menschliche Verstand, gewiss, aber dennoch mit Wachheit begabt, fähig, Situationen miteinander zu vergleichen und daraus Schlüsse für das eigene Handeln zu ziehen. Könnte er nicht Kontakt aufnehmen mit einem solchen Wesen?
Es war eine schwache Hoffnung. Beim Anblick des Düsterlings über dem Feuer begannen die anderen Frostdrachen, wieder zu schreien. Feuer war für sie ein Symbol der eigentlichen Drachen, der Feuerdrachen, einer höheren Rasse, der sie gehorsam gewesen waren, lange bevor die Eiswinde zu diesen Klippen kamen. Ihre Reaktion auf Feuer war mehr als Verehrung – sie fürchteten sich davor. Sie würden sich dem Felsblock nicht nähern, solange das Segel brannte. Der Düsterling war anders. Obwohl er das Ballonsegel mit Vorsicht betrachtete, flog er nur deswegen nicht näher heran, weil er wusste, dass er damit den Zorn der anderen erregen würde. Für ihn war das Feuer ein Beweis für die verborgene Stärke der Menschen. Er verstand jetzt die Weisheit der Anordnung der Drachen. Die Menschen waren gefährlich.
Der Düsterling stieß einen Schrei aus und stieg höher. Er wollte zu dem Menschen zurückkehren und herausbekommen, wie das kleine Wesen das Geheimnis der Flamme benutzte; dann würde er entscheiden, was die beste Angriffsmethode war.
Amsel sah den Düsterling näher kommen. Es blieb ihm keine große Wahl. Er konnte versuchen, sich mit ihm zu verständigen – eine Methode, die für einen Wissenschaftler (oder für einen Dummkopf) sehr viel für sich hatte -, oder er konnte versuchen, in den dunklen Tunnel hinter ihm zu entkommen. Beides konnte tödlich sein. Der Frostdrache war schnell, und Amsel vermutete, dass er mit seinen gelben Augen im Dunkeln viel besser sehen konnte als er selbst.
Amsel beschloss, sich zu verstecken und abzuwarten. Denn wenn der Frostdrache ihn als Abendmahlzeit hätte verspeisen wollen, hätte er das schon vor langer Zeit tun können.
Während Amsel sich im Schutz eines großen Felsens versteckte, verdunkelte der schwarze Frostdrache mit seinem Körper den Eingang. Amsel hörte das Zischen und Rutschen des gewaltigen Körpers über den feuchten Boden. Dann kam ein ohrenbetäubender Schrei, und ein ekelhafter Gestank drang Amsel in die Nase – der Geruch des Frostdrachen. Amsel hielt sich die Ohren zu und drückte sich tiefer in die Schatten hinter dem Fels. Er konnte sich nicht länger verstecken. Das Wesen starrte mit seinen gelben Augen über den Rand des Felsblocks. Amsel schrie auf, aber sein Schrei ging unter im Nachhall des Drachenschreis. Der Düsterling hieb mit den Krallen durch die Luft, und Amsel fühlte zum zweiten Mal, wie eine Riesenkralle seine Weste durchschlitzte.
Dann – bevor er begriff, was geschah – fühlte Amsel, wie er durch die Luft flog. Einen Augenblick lang dachte er, er würde gegen die Decke der Höhle prallen, aber die Klaue des Frostdrachen
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