Drachenland: Roman (German Edition)
zu, als spreche er zu einem Pferd. »Flieg wieder dahin, wo du hingehörst!«
»Ich kann da nicht hinsehen«, sagte Lady Eselle und wandte sich ab.
»Verschwinde!«, wiederholte der junge Mann.
Der Drache starrte ihn an und schwebte dann langsam in den Hof hinunter.
»Du wirst den Palast nicht bedrohen!«, schrie der Wächter und wich nicht von der Stelle. Er schleuderte seinen Speer auf den Bauch des Ungeheuers. Doch die Waffe prallte kraftlos von dem Schuppenpanzer ab. Der Drache schien beinahe zu lächeln. Mit einer für ein so riesiges Wesen unglaublich schnellen Bewegung fegte er mit einer seiner gewaltigen Klauen den törichten Wächter weg wie ein lästiges Insekt. Der Wächter flog durch die Luft, überschlug sich und kam taumelnd wieder auf die Beine. Einer seiner Arme baumelte sinnlos hin und her. Während mehrere andere Wachen herbeieilten, um ihm zu helfen, stieg der Drache wieder auf. Der Windzug von seinen großen Flügeln zerstörte mehrere kleine Bäume und einen Garten, ehe er am Palast vorbei höher flog und die winzigen Wesen dort mit einem Triumphschrei verhöhnte.
Falkenwind und die Familie sahen das Wesen über den Bäumen in nordwestliche Richtung davonfliegen.
»Was war das?«, fragte Lady Eselle. »Was will es nur in Simbala?«
»Gibt es da noch Zweifel?«, sagte der General schroff. »Dies war offensichtlich Teil des Angriffs der Fandoraner. Irgendwie beherrschen sie den Drachen.«
Baron Tolchin legte die Finger prüfend auf Eviraes Puls. »Sie lebt«, sagte er erleichtert. Prinz und Prinzessin lagen im Schlamm begraben. Mesor meinte: »Sie ist offenbar wegen eines Mangels an Luft in Ohnmacht gefallen, ebenso wie Kiorte und der Wächter.«
Tolchin ging vor dem Geröll- und Schlammberg rasch auf und ab. Er, Alora und der Kämmerer hatten den Ort des Einsturzes durch eine kleine Öffnung im Tunnel erreicht. »So wie es aussieht«, sagte er, »hat dieser Spalt sich geöffnet, als der Schlamm zur Ruhe gekommen war, aber nicht früh genug, um sie vor Bewusstlosigkeit zu bewahren. Wir hatten Glück, dass wir sie fanden. Mesor, hol Helfer herbei, die sie hinaustragen! Alora und ich suchen einen Arzt, der …« Tolchin blickte plötzlich hinauf zur Decke des Tunnels. »Horcht! Hört ihr das?«
Der Kämmerer und die Baronesse lauschten. Sehr, sehr leise, durch mehrere Fuß Erde gefiltert, hörten sie einen Schrei. Einen Augenblick später ging eine Erschütterung durch die Höhle, als wäre gerade etwas Schweres auf den Boden gestürzt. Erde rieselte in einem Rinnsal herunter.
»Der Angriff hat begonnen«, sagte Tolchin erbittert.
»Das ist unmöglich«, protestierte die Baronesse. »Die Fandoraner sind gerade gelandet!«
»Vielleicht sind vor den Schiffen, von denen die Windsegler berichtet haben, schon andere gelandet!«
»Das ist egal. Keine Bauernbande könnte nach Oberwald eindringen!« Alora wischte Kiortes Gesicht ab.
»Es ist Falkenwinds Schuld«, sagte Tolchin. »Evirae hatte recht.«
Amsel stolperte durch die dunklen Tunnel, gefangen in einem Irrgarten. Er war zum Umfallen erschöpft, aber jedes Mal, wenn er zu rasten versuchte, hörte er die schnellen Tritte des Wesens, das ihn verfolgte.
Es war immer das Gleiche: Sobald er stehen blieb und das Echo seiner Schritte verhallte, hörte er das Tick-tick-tick der Krallen auf dem Felsen. Dann blieb das Wesen ebenfalls stehen und wartete, bis er wieder weiterlief. Es beobachtete ihn, wartete darauf, dass er zu schwach war, sich gegen seinen Angriff zu wehren.
Er konnte ihm nicht entkommen; um das Wesen loszuwerden, musste er es überlisten. Er hastete weiter, fest entschlossen, möglichst viel Abstand zu halten. Nun neigte sich auch noch der Tunnel nach unten – er entfernte sich wieder von der Oberfläche. Amsel dachte verzweifelt: Wenn ich nur sehen könnte! Die schreckliche, alles verdeckende Dunkelheit und dann dieses Phantom!
Ihm kam eine Idee. Fieberhaft durchsuchte er seine Taschen und fand schließlich seine Brille. Die Linsen hatte er selbst geschliffen, aber den Stahl für das Gestell hatte er von einem Kaufmann aus dem Südland erworben. Die Tunnel waren voller Kristall- und Quarzablagerungen. Amsel kniete nieder und tastete den Boden des Tunnels ab – da war schon wieder das Kratzen von Krallen auf den Felsen! Amsel suchte schneller und schlug einen Stein auf dem anderen gegen das Gestell seiner Brille.
Das Wesen kam immer näher. Er hörte es atmen! Dann war plötzlich alles wieder still. Amsel geriet in
Weitere Kostenlose Bücher