Drachenland: Roman (German Edition)
die Oberfläche und fanden sich von Chaos umgeben. Überall liefen Menschen herum, einige waren bewaffnet, und alle sahen entsetzt oder empört aus. Evirae winkte den Baron mit einer schwachen Handbewegung zu sich. Ihr Gesicht war bleich, so dass die Schlammstreifen auf ihren Wangen sich dunkel absetzten.
»Tolchin …«, flüsterte sie.
»Ich bin bei dir«, sagte der Baron.
»Der Fandoraner … ist entkommen … alles Falkenwinds Schuld … Der Fandoraner kann … Schaden … anrichten … haltet ihn auf … haltet Falkenwind … auf …«
Ihre Hand fiel kraftlos herunter, und ihre Augen schlossen sich wieder. Der Arzt fühlte ihren Puls und nickte erleichtert. »Sie braucht Ruhe«, sagte er.
Tolchin blickte hinüber zu den aufgeregten Menschen. Evirae öffnete ein Auge einen Spalt weit, um ihn zu beobachten, dann schloss sie es rasch wieder.
Tolchin packte den Arm eines jungen Mannes, der mit einem schweren Messingleuchter in der Hand an ihnen vorbeilief. »Was ist geschehen?«, fragte der Baron. »Sind die Fandoraner schon in Oberwald?«
»Nein, aber ihre Dämonen sind hier!«
»Dämonen?«, fragte Alora ungläubig.
»Ja! Die Stadt wurde von einem Drachen angegriffen! Die Fandoraner stehen im Bündnis mit Zauberei und Fabelwesen! Die Stadt muss verteidigt werden!« Er entwand sich Tolchins Griff und verschwand durch eine Hecke.
Tolchin ergriff ärgerlich den Arm seiner Gemahlin und sagte: »Ich muss gehen, um mit der übrigen Familie zu sprechen. Falkenwind darf die Führung des Krieges nicht übernehmen! Hätte er auf Evirae gehört, gäbe es jetzt nicht diese Panik!«
»Ich bleibe hier«, erwiderte Alora. »Evirae und Kiorte müssen zum Palast gebracht werden. Ich möchte mich selbst darum kümmern.«
Tolchin rieb sich das Kinn, nickte und hastete davon.
23
Auf den Ebenen Simbalas, weit ausgedehnten flachen Wiesen mit verstreuten Baumgruppen, hatte die fandoranische Armee sich gesammelt. Ohne auf die Kälte zu achten, beobachtete Jondalrun unablässig den fernen Wald. Dayon, Lagow, Tenniel und Tamark standen neben ihm. Die Armee war vom Strand aus über die Hügel marschiert, ohne dass auch nur ein Zaun ihren Vormarsch behindert hätte.
»Sie liegen auf der Lauer«, sagte Jondalrun, dessen Stimme heiser geworden war von den vielen Befehlen und anfeuernden Worten. »Dort.« Die Mittagssonne war von Wolken verdeckt. In diesem Licht sahen die Bäume Unheil verkündend aus.
»Ich sehe keine Soldaten«, sagte Lagow. »Auch keine Windschiffe. Hier sieht es nicht aus wie in einem Land, das sich auf einen Krieg eingerichtet hat. Ich …«
»Spar dir deine Worte, Lagow«, sagte Jondalrun. »Ich kenne deine Meinung inzwischen. Und ich behaupte immer noch, dass die Sim auf uns warten und hoffen, dass wir in den Wald eindringen. Dann werden ihre Jäger, Bogenschützen und Zauberer über uns herfallen. Nein, wir warten lieber auf dieser Ebene auf sie, unter diesen Baumgruppen. Hier sind wir auf sie vorbereitet und gleichzeitig vor ihren Windschiffen geschützt.«
Zu Jondalruns Überraschung stimmte Lagow zu. Vielleicht, dachte er, passiert gar nichts. Die Nacht wird kalt sein, und dann drängen die Männer darauf, umzukehren. Noch ist es nicht zu spät, dieses törichte Unterfangen zu beenden.
Tenniel aber sagte ungewöhnlich ernst: »Ich bin all dieser Verzögerungen überdrüssig. Meine Männer werden müde. Ohne Verpflegung werden sie bald zu geschwächt sein zum Kämpfen.«
»Die Männer aus Borgen sind wohlgenährt«, sagte Tamark ungeduldig. »Mach dir keine Sorgen um ihre Ausdauer!«
»Wir werden abwarten, Tenniel«, sagte Jondalrun leise. »Morgen können wir weiterdiskutieren.«
Der Tunnel führte weiter nach oben. Manchmal ging es so steil bergauf, dass Amsel seine Hände zu Hilfe nehmen und klettern musste. »Es kann jetzt nicht mehr lange dauern«, sprach er sich immer wieder Mut zu. Während er verbissen weiterkrabbelte, kam es ihm so vor, als höre er Johans Stimme, die ihm gut zuredete. »Ich werde die Wahrheit herausfinden!«, schrie er, und das Echo seiner Worte kehrte im stillen Tunnel zu ihm zurück. »Ich werde sie herausfinden!« Jetzt wurde es etwas heller, und er konnte vor sich einen großen Felsblock erkennen. Er zog sich hoch und ließ seine kurzen Beine an der anderen Seite hinuntergleiten, aber der Tunnelboden schien plötzlich nicht mehr da zu sein. Amsel hing unsicher am Rand eines Abgrunds und stürzte dann mit einem erschrockenen Schrei in die dunkle,
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