Drachenland: Roman (German Edition)
Sogar Willen sah in der Entscheidung, Männer aus Nordwelden zu rekrutieren, eine Geste der Achtung, wie sie von der königlichen Familie nie gekommen war. Willen wusste nicht, warum Falkenwind ohne Rubin erschien, aber er empfand dies als ein Zeichen der Unabhängigkeit, und das gefiel ihm.
Falkenwind zügelte sein Pferd auf einer kleinen Erhebung und musterte die Truppen vor ihm eingehend. Die simbalesischen Streitkräfte waren nicht vollzählig, und seine Offiziere konnten die Stärke der Eindringlinge nicht genau einschätzen. Viele hielten die Fandoraner lediglich für besitzgierige Bauern, aber Falkenwind war überzeugt, dass es einen anderen Grund für den Krieg gab. Er glaubte auch nicht, dass sie sich den Drachen irgendwie zunutze machten.
Er hatte Thalen und drei Windschiffe losgeschickt, um die Fandoraner aus den Hügeln ins Kamerantal zu treiben, sie dann zu umzingeln und zurück ans Ufer zu zwingen – ein gewagter Plan, aber vielleicht konnte man auf diese Weise den Krieg rasch und schmerzlos beenden.
Der Monarch gebot Schweigen mit der rechten Hand und sprach zu seinen Truppen. »Wir stehen einer Invasion von Bauern und Fischern gegenüber!«, rief er mit hallender Stimme. »Sie haben keine Chance, den Wald zu erreichen. Dieser Krieg wird vor Morgengrauen beendet sein.« Er erklärte mit wenigen Worten die Absicht der Windschiffe. »Wir werden die aus den Hügeln vertriebenen Fandoraner im Tal erwarten und alle, die nicht an die Küste fliehen, gefangen nehmen.«
Von einigen Seiten ertönte Beifall, aber ein junger Soldat, der Evirae ergeben war, rief zornig: »Und was ist mit den Drachen? Ihr schickt uns schutzlos in den Kampf mit Ungeheuern!«
Falkenwind rief zurück: »Wir haben einen Drachen gesehen! Wir haben keinen Grund zur Annahme, dass es noch mehr gibt. Wir sind vorbereitet, falls er noch einmal angreift. Eine Flotte von Windschiffen mit simbalesischen Bogenschützen wird mit jedem Drachen fertig!«
Diesmal hallte die ganze Lichtung wider vom Beifall. Falkenwind zeigte auf Vora. »General Vora wird die Lage mit den Divisionskommandeuren besprechen. Wir reiten jetzt an den Waldrand, um zu warten, bis Thalen seine Manöver abgeschlossen hat.«
Nebel umhüllte das Kamerantal. Auf einer steilen Anhöhe mit Blick auf das Tal und den dunklen Wald dahinter standen die Ältesten von Fandora. Jondalrun, müde, aber rege, suchte die Grenze Oberwalds mit prüfenden Blicken ab. Lagow lehnte sich mit besorgtem Gesicht an einen alten Butterbaum. In seiner Nähe standen Tamark und Pennel.
»Für heute Abend ist hier genug Nahrung«, sagte Tamark.
»Stimmt, aber es gibt andere Dinge, die den Männern Furcht einflößen«, sagte Pennel.
»Die Dunkelheit?«
»Weniger die Dunkelheit als die Stille – das Warten. Es ist merkwürdig – kein einziges Windschiff am Himmel, obwohl wir von Fandora aus sicher ein Dutzend gesehen haben.«
Tamark nickte gleichmütig. »Ich bin überzeugt, wir werden bald mehr Sim sehen, als uns lieb ist.«
Dayon trat zu ihnen. Er hielt eine kleine, farbenprächtige Eidechse in der Hand. »Seht nur«, sagte er, »wenn man ihren Bauch berührt, verändert sie die Farbe!« Er wollte es vorführen, aber Jondalrun hielt ihn davon ab. »Lass sie fallen!«, schrie er. »Es ist ein Trick! Vielleicht ein Zauberer der Sim in anderer Gestalt!«
Dayon schüttelte resigniert den Kopf und ließ die Eidechse frei. Sie verschwand unter einem Felsen. Dann drehte er sich um und ging ein paar Schritte weiter zu Lagow. »Ich glaube, dieses Land ist gar nicht bewohnt.«
»Wenn du das glaubst«, erwiderte der Stellmacher, »dann kannst du deinen Vater vielleicht davon überzeugen, dass es Zeit ist, nach Hause zurückzukehren.«
»Mein Vater wird erst umkehren, wenn er das Gefühl hat, der Mord an meinem Bruder sei gesühnt.«
Lagow runzelte die Stirn und blickte über die grasbewachsenen Hügel, die im Norden von steilen Felshängen flankiert wurden. »Was ist, Dayon? Früher hast du dich der starrsinnigen Autorität deines Vaters widersetzt – oder hat das Kriegsfieber dich gepackt?«
»Ich halte zu meinem Vater, Lagow! Wir müssen alle zu ihm halten. Er sucht keinen Ruhm – nur Gerechtigkeit.«
»Gerechtigkeit«, fragte Lagow, »oder Rache? Das sind zwei verschiedene Dinge. Die eine schützt, die andere verzehrt dich. Ich fürchte, dein Vater will Rache, junger Mann.«
Dayon antwortete nicht.
Als jüngster Gemeindeältester hatte Tenniel aus Borgen die undankbare Aufgabe
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