Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
setzte sich wieder.
»Wieviel weißt du?« fragte El-Navar angespannt.
»Zuviel! Jetzt müssen wir sie töten!« rief Radisson aus.
»Versucht’s doch!« meinte Kit herausfordernd. Wieder
sprang Radisson überraschend schnell auf sie zu, doch diesmal
war El-Navar schneller und hielt ihn auf, indem er den
Kleineren beiseite schubste. Radissons Blicke hätten töten
können, doch er konnte nichts gegen den Größeren tun, dessen
charismatische Person – abgesehen von seiner Größe – Respekt
einflößte.
»Nicht so hastig, Radisson«, mahnte El-Navar. »Schalt erst
deinen Kopf ein. Dieses Mädchen ist dir nicht gewachsen, auch
wenn sie dir in anderer Hinsicht das Wasser reichen kann. Eine
ordentliche Ringerin, zum Beispiel, was seinen Wert haben
kann.«
Obwohl Kit den Grund nicht verstand, vermittelte etwas in
El-Navars Worten, etwas in seinem Tonfall, Radisson eine
Botschaft. Anstatt wütend zu werden, kam der Kerl zu Kits
Platz herüber. Er starrte sie an, woraufhin sein
Gesichtsausdruck sich änderte und nachdenklich wurde.
Auch El-Navar umrundete Kit und musterte sie. »Ich finde,
wir nehmen sie mit«, erklärte er, nachdem ein paar lange
Augenblicke verstrichen waren. »Laßt sie… wie sie sagt,
>mitkommen<.«
Ursa warf einen Blick auf Kit und sah dann wieder El-Navar
an. Er zuckte mit den Schultern, um seine Gleichgültigkeit zu
bekunden. Immer noch ungerührt starrte er Kit mit seinen
dunklen, quecksilberfarbigen Augen an.
»Vielleicht«, meinte Radisson störrisch.
»Sieh sie dir an«, forderte El-Navar Radisson auf. »Sie hat
doch ungefähr deine Größe. Und sie hat Schneid. Für uns
würde es das Risiko gewaltig verringern, und du wärst da, wo
du am meisten gebraucht wirst.«
Nach langem Zögern zuckte Radisson als Zeichen
zurückhaltender Zustimmung mit den Schultern. Kit
registrierte, daß sich niemand darum scherte, das vierte
Mitglied der Gruppe zu befragen
– Trauerkloß, wie sie ihn
heimlich getauft hatte.
»Hast du ein gutes Pferd? Kannst du schnell reiten,
Kitiara?«, fragte El-Navar.
»Schnell genug!« sagte sie aufgeregt.
Er schnitt ihr die Fesseln durch. »Dann gehörst du zu uns«,
entschied er und klopfte ihr auf die Schulter.
Kitiara rieb sich kläglich die Handgelenke und sah in die vier
Gesichter, die sie anstarrten. Obwohl sie noch nicht allzu
zuversichtlich war, zwang sie sich zu einem Lächeln.
»Also…«, sagte der mit dem Schurkengesicht. »Na los,
Radisson!« donnerte El-Navar. »Sei kein Esel. Gib unserm
neuen Partner die Hand!«
Am folgenden Tag und dem Tag drauf ritten sie weiter nach
Nordosten.
Abgesehen von Radisson, der seine mißtrauische Haltung
Kit gegenüber aufrechterhielt, schienen die anderen das
Mädchen zu akzeptieren. Wo sie hinwollten und was sie dort
eigentlich vorhatten, blieb allerdings ein Geheimnis. Zumindest
konnte Kit trotz aller Bemühungen absolut keine weiteren
Einzelheiten herausbekommen. »Nur Geduld«, sagte El-Navar
jedes Mal, wenn sie das Thema anschnitt. »Alles zu seiner
Zeit.«
El-Navar war äußerst rätselhaft. Wie die Menschen, von
denen Gregor Kit einst erzählt hatte, schien er tagsüber so,
nachts jedoch ganz anders zu sein. Wenn die Sonne schien,
verschwand El-Navar unter seiner Kapuze; ja, er verschwand
regelrecht aus der Gruppe. Seine Augen wurden schläfrig, fast
wie die eines Schlafwandlers und von der spontanen Art, die
ihm nach Einbruch der Dunkelheit zueigen war, blieb nur
wenig übrig. Er ritt zwar weiter mit, sackte dabei jedoch in sich
zusammen und redete wenig.
Bei Tag war Ursa eindeutig der Anführer. Aber nach einem
langen Tag im Sattel, nachdem das Lager aufgeschlagen und
das Essen gefaßt war, war Ursa gewöhnlich so müde, daß
einem die Befürchtung kam, er würde seine Wache nicht mehr
schaffen. Um diese Zeit sprühte der Karnuthier vor Energie. Es
bestand offenbar ein Einvernehmen zwischen Ursa und ElNavar, und keiner von beiden kämpfte um die Führung.
Der Große mit dem traurigen Gesicht sagte auch weiterhin
sehr wenig zu allen. Ihm oblag die Verantwortung für die
Pferde und für das Essen, denn er bereitete die kleinen Tiere
zu, die sie unterwegs in Fallen fingen oder schössen. Kit hatte
ihn nach seinem Namen gefragt und auch Antwort bekommen.
Er hieß Schlaukopf – ein Name, den sie sich in Verbindung mit
einem so seltsamen Mann nur schwer merken konnte. Darum
nannte Kit ihn weiter »Trauerkloß«. Die anderen hatten so viel
Spaß daran, daß der Spitzname an ihm hängen blieb.
Zu Kits großer
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