Drachenlanze - Der Bund der ...
ging Kit zu Patrick hinüber, nahm das Amulett ab,
das sie immer noch trug, und legte es auf seinen Körper. Das
ist nur gerecht, dachte sie. Und sie wollte nicht an ihn und
seine Mutter erinnert werden.
Als sie sich in den verlassenen Gang gestohlen hatte,
lauschte Kit auf das immer noch andauernde Chaos an Deck
und stellte fest, daß sie jetzt handeln mußte, solange der Sturm
auf seinem Höhepunkt war und die Leute abgelenkt waren.
Kit holte tief Luft und stieg so unverdächtig wie möglich die
Treppe hoch. Die Männer rannten hin und her, machten Taue
fest und riefen einander Kommandos zu. Das Schiff schwankte
wild, so daß Kit einige Male auf das Deck stürzte, ehe sie ihr
Gleichgewicht wieder fand.
Der Donner krachte, Blitze spalteten den Himmel. Einen
kurzen Augenblick beleuchteten die Blitze La Cava am Ruder.
Der Kapitän brüllte seiner durchnäßten Crew lauthals Befehle
zu.
Kit hatte richtigerweise angenommen, daß sie in diesem
Tumult niemand bemerken würde.
Taumelnd kämpfte sich Kit zum Heck des Schiffs vor. Die
Küste war höchstens zehn Meilen entfernt, und Kit fand, daß
sie eine gute Chance hatte, es zu schaffen, selbst in diesem
Sturm.
Ein Blick zum Himmel verriet ihr, daß das Gewitter
nachließ. Das Schlimmste war vorbei.
Nachdem sie ihre Stiefel ausgezogen und im Beutel verstaut
hatte, überzeugte sich Kit, daß sie alles fest an ihren Körper
gebunden hatte. Sie kletterte auf die Reling und sprang ohne
einen Blick zurück vom Schiff.
Die kalten, tosenden Wellen prasselten wie Steine auf sie ein
und hätten sie fast betäubt. Doch bevor Kit das Bewußtsein
verlieren konnte, schwamm sie auch schon, ein Punkt im
Wasser, der sich langsam, aber stetig vom Schiff entfernte.
»Mann über Bord!« war das letzte, was sie hörte.
Kapitel 4
An Land gespült
Das Meer hatte im Sturm alle Farbe verloren. Die Wellen
sahen schwarz aus, als sie wieder und wieder über Kitiara
hinwegklatschten. Sie kämpfte darum, den Kopf über Wasser
zu halten. Ihre Arme schwammen, bis sie taub waren.
Die Stunden vergingen.
Da Kit von dem Schwert auf ihrem Rücken heruntergedrückt
wurde, konnte sie kaum die Kraft aufbringen, mit den Beinen
zu treten. Ihr ganzer Körper schien vom Wasser
heruntergezogen zu werden. Kit hatte so viel Salzwasser
geschluckt, daß sie heftig zu würgen begann, als die Wellen nicht zum erstenmal in dieser Nacht
– über ihr
zusammenschlugen.
Zum Glück war es Kit gelungen, sich an einem kleinen
Holzfaß festzuklammern, das im Wasser an ihr vorbeigetrieben
war, und dessen Auftrieb das einzige war, was sie jetzt noch
über Wasser hielt. Das und ihre Entschlossenheit, es nicht
loszulassen.
Der Sturm tobte viel länger, als Kit geschätzt hatte, bevor sie
von Bord gesprungen war. Das Schiff hatte sie längst aus den
Augen verloren, doch sie hatte keine Ahnung, ob sie immer
noch auf die Küste zuhielt und wie weit die Küste überhaupt
entfernt war. Obwohl der Sturm nachgelassen hatte, zeigte sich
am wolkenverhangenen Himmel noch kein Schimmer der
Morgendämmerung.
Kits Gesicht ruhte am rauhen Holz des Fasses. Ihre Zunge
war so geschwollen, daß sie sich doppelt so groß anfühlte wie
normal, und das in einem völlig ausgedörrten Mund. Ihre
Lippen waren mit Salzkrusten überzogen. Eine
unwiderstehliche Müdigkeit überkam sie. Kit fielen die Augen
zu. Ihr war alles egal.
Augenblicklich begannen sich Bilder vom Krystallmirsee in
ihrem Kopf zu formen. Wie seine Oberfläche im Sonnenlicht
glitzerte, wie die Wellen am Ufer leckten, ein schöner,
friedlicher Tag…
Hundert Nadelstiche schreckten sie auf. Ihr Bein tat
entsetzlich weh. Etwas griff sie an. Kit konnte kaum etwas im
Wasser erkennen, doch sie biß die Zähne zusammen und trat
heftig nach dem unbekannten Wesen.
Sie traf etwas Kaltes, Schleimiges. Als sie sich herumwarf,
konnte sie vage eine silbrigweiße, gelatineartige Masse
erkennen, die an die Oberfläche gekommen war.
Noch während sie das Ding anstarrte
– es war zwei
Armspannen breit und eine hoch
–, kam es näher. Da sie
abgelenkt war, konnten ihr weitere Nadeln über den Rücken
kratzen. Sie trat wieder heftig aus und sah zwei längliche
Umrisse, rotbraun mit schokoladenbraunen Tupfen, die sich
unter Wasser rasch von ihr fortbewegten.
Da wurde ihr klar, daß sie es mit einer Riesenqualle zu tun
hatte, die von zwei Wächteraalen begleitet wurde. Sie wollten
Kit zum Frühstück verspeisen!
Entsetzt starrte sie die schwabbelige Qualle an, die ein paar
Fuß entfernt lauerte.
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