Drachenlanze - Die Stunde der Diebe
wirklich zum letzten Mal gesehen?«
fragte Tanis ruhig.
Flint brauste auf: »Weiß ich nicht!« Er breitete hilflos die
Arme aus und lief zwischen Bett und Kamin auf und ab. »Ich
weiß überhaupt nicht mehr sehr viel von gestern abend.« Er
zerrte an den Enden seines Schnurrbarts, bis Tanis befürchtete,
er würde sie gleich abreißen.
»Das ist es!« sagte Tanis und schnipste mit den Fingern.
»Gestern abend im Wirtshaus – du hast es uns gezeigt, als du
davon geredet hast. Bestimmt hast du es einfach auf dem Tisch
liegenlassen. Ich wette, Otik hat es gefunden und fragt sich
gerade, wem es wohl gehören mag.« Tanis wirkte etwas
entspannter. »Also, worauf warten wir? Laß uns dein Armband
holen und ein paar Teller Kartoffeln zum Frühstück essen.«
Flint war nicht gerade beruhigt, als er Tanis’ schlanker
Gestalt durch die Tür folgte. »Ich hoffe, du hast recht«, sagte er
leise, während er einen zweifelnden Blick zurückwarf. »Ich
hatte bei dem Armband von Anfang an ein komisches Gefühl,
seit ich diese Anweisungen gelesen habe.« Er erschauerte bei
der Erinnerung. »Irgend etwas stimmt nicht, wenn jemand so
viel Geld für ein Kupferarmband bezahlen will.«
Weil er wußte, wie abergläubisch sein Freund war, fragte
Tanis unwillkürlich: »Warum hast du es denn dann gemacht?«
Flints Hängebacken unter seinem graumelierten Bart liefen
knallrot an. »Ich gebe zu, zuerst bin ich auf ihre
Schmeicheleien hereingefallen. Sie sagte, sie hätte gehört, daß
ich der beste Goldschmied weit und breit bin.« Plötzlich
runzelte er die Stirn und kratzte sich sein graues Haupt über
dem rechten Ohr. »Nach all dem Lob war ich überrascht, als
ich sah, wie einfach der Entwurf war – nicht annähernd so
schwierig wie meine normale Arbeit, und das ist meine ganz
nüchterne Einschätzung, nicht bloß Einbildung.« Er zuckte mit
den Schultern. »Und es war ein langer, kalter Winter, und das
Geld konnte ich auch gebrauchen.«
Tanis reckte sich in der Sonne, während Flint die schwere,
schön geschnitzte Tür zuzog. Er fischte einen schweren
Schlüssel aus der Tasche, stieß ihn in das Messingschloß und
drehte ihn herum. Mit einem zufriedenstellenden Klack
schnappte der Bolzen ein. Tanis blickte mit hochgezogenen
Augenbrauen zurück. »Warum machst du das? Du schließt
doch sonst nie ab«.
»Ich weiß nicht, so wie ich in letzter Zeit Sachen verliere,
sollte ich lieber damit anfangen«, grollte Flint. Er steckte den
Schlüssel ein und klopfte darauf »Ich dachte, du bist hungrig.
Was glotzt du mich dann so an?« Tanis zuckte mit den
Schultern, lächelte besänftigend, und dann durchquerten die
beiden Solace.
Da die Straßen wegen des Festes leer waren, waren Tanis
und Flint rasch beim Wirtshaus angekommen. Den Aufstieg
um den schweren Baumstamm, der das Wirtshaus trug,
brachten sie fast im Laufschritt hinter sich. Da es so früh schon
ungewöhnlich warm war, hielt ein Holzklotz die Tür zum
Wirtsraum offen. Hinter dem Tresen stand Otik und polierte
mit einem fleckigen Putzlumpen seine Steingutkrüge. Als Flint
hereinpolterte, sah er auf, bemerkte die Aufregung des Zwergs
und nickte, als Tanis ihm folgte.
»Hallo! Ich hatte euch zwei vor heute abend, wenn der
Markt zu Ende ist, nicht zurückerwartet. Seid ihr so früh da,
weil ihr noch mehr von dem Zeug wollt, das euch umgeworfen
hat?« fragte der grinsende Wirt fröhlich. Er hielt den Krug, den
er gerade abgetrocknet hatte, unter den Zapfhahn, bis ein dicker
Schaumfinger außen herunterlief, und bot ihn Flint an.
Flint betrachtete den Krug finster, griff jedoch nicht zu.
»Otik, sag, daß du ein Kupferarmband gefunden hast«, forderte
er ohne Umschweife.
Otik überstürzte nie etwas. Er schürzte die Lippen und
blickte nachdenklich durch den Raum. »Ein Kupferarmband,
sagst du? Hmm… Das ist aber schwierig.«
Flints Augen funkelten. »Hör mal, entweder hast du eins
gefunden oder nicht!«
Otik blieb unbeeindruckt. »Ich habe mal einen Ring
gefunden…«
Ungeduldig verdrehte Flint die Augen und pustete durch
seinen Schnurrbart. »Ich meine, gestern abend. Hast du gestern
abend beim Aufräumen hier ein Armband gefunden?«
»Oh, das ist etwas anderes, laß mich nachdenken… Ich habe
gestern abend gar nicht mehr aufgeräumt, erst heute morgen.
Das stimmt, ich bin früh runter gekommen, um die Gaststube
fürs Frühstück fertigzumachen. Hab eine Schale Haferbrei aus
dem Topf gegessen – allerdings kein guter Brei, völlig klumpig
und klebrig.« Otik kniff die Augen
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