Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
überfüllten Dock ein vertrautes Gesicht zu sehen.
Da! Maurynna winkte hektisch. »Keronis«, rief sie und winkte erneut. »Keronis!«
Keronis blickte auf. Er schirmte die Augen ab und versuchte zu sehen, wer ihn gerufen hatte. Seine Miene hellte sich auf, als er sie erkannte, und er winkte begeistert zurück. Aber dann verzog er zu Maurynnas Überraschung das Gesicht, drehte sich um und rannte zu dem Hauptlagerhaus, in dem sich das Hafenbüro befand.
»Was ist denn?« murmelte sie verwirrt.
»Wer war das?« fragte Linden.
»Einer von den viel zu vielen Vettern hier, von denen ich dir erzählt habe«, sagte sie und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
Sie wartete gequält und ungeduldig, während die Seeleute und Arbeiter das Schiff weiter festmachten. War sie bei der Familie derart in Ungnade gefallen, daß Keronis sich einfach umdrehte und davonrannte, als stünde er plötzlich einer Aussätzigen gegenüber? Verstanden sie denn nicht, daß sie keine andere Wahl gehabt hatte, als ihr Schiff zu verlassen? Ihr alter Erster Maat hatte ihnen doch sicher alles erklärt!
Sobald die Seeleute die Laufplanke befestigt hatten, kletterte Maurynna die Leiter vom Quarterdeck herunter und ließ Linden stehen. Mit einem überraschten Ruf sprang er ihr nach.
Aber Maurynna war bereits über das Unterdeck gerannt und auf halbem Weg die Laufplanke entlang. Ihr Herz klopfte heftig; es fiel ihr schwer zu atmen. Im nächsten Augenblick stand ihr Fuß wieder auf thalnischer Erde. Was immer passieren mochte, sie war wieder zu Hause. Tränen traten ihr in die Augen.
Und nun sah sie weitere vertraute Gesichter unter den Arbeitern. Sie lächelte sie an, aber ihr Lächeln erstarb, als sie zurückwichen, mit weit aufgerissenen Augen, und ihr und den anderen Platz machten. Wie durch Zauber öffnete sich eine Gasse zwischen Schiff und Hauptlagerhaus. Und diese Gasse entlang kamen ihr Onkel Kesselandt und diverse Tanten, Onkel und Vettern, alle bleich und aufgeregt.
Maurynna starrte sie verblüfft und mit wachsender Angst an; sie hatte Kesselandt noch nie so erlebt. Nicht einmal ein zorniger König konnte das Oberhaupt des Hauses Erdon so aus der Ruhe bringen – wie sie bei einer Gelegenheit, die beinahe ihr Herz zum Stillstand gebracht hatte, hatte verfolgen können.
Aber ihr stolzer Onkel, nun kreidebleich und schwitzend, blieb vor ihr stehen. Er betrachtete sie, ließ den Blick dann über die anderen schweifen, die sie hinter sich spürte. »Euer Gnaden«, sagte er. Wieder fiel sein Blick auf sie, obwohl er ihr nicht in die Augen schauen wollte. Er leckte sich nervös die Lippen. »Euer Gnaden«, sagte er abermals und begann mit steifen Bewegungen niederzuknien. Die anderen Erdons und die Arbeiter taten es ihm nach.
»Nein«, flüsterte sie. Nun hätte sie beinahe wirklich geweint.
Hinter sich hörte sie Otter knurren: »Kesselandt, du Idiot! Nicht! «
Bevor noch ein einziges Knie wirklich die Planken des Docks berührte, erklang eine spöttische Stimme. »He, nennst du etwa das, was du auf deiner letzten Fahrt gemacht hast, Handel treiben? Den Preis, den du für dieses Lampenöl bezahlt hast! Lächerlich!« grölte Breslin, als er den anderen Erdons folgte. »Vielleicht ist es wirklich besser, daß du den Handel aufgegeben hast.«
Glühender Zorn brannte die Tränen weg. »Ach ja?« rief Maurynna zurück, umging ihren Onkel und stürzte sich auf ihren am wenigsten geliebten Vetter, während die Familie vor ihr zur Seite wich. »Ich nehme an, du hättest es besser gemacht? Hast du auch nur die geringste Ahnung, wieviel Kaufleute zu diesem Zeitpunkt in Casna waren? Diese Mistkerle von der cassorinischen Lampenölgilde hatten so viele Leute, die verzweifelt nach Fracht – jeder Art von Fracht – suchten, daß sie verlangen konnten, was immer sie wollten!«
Breslin lächelte genau in die Krallen ihres Zorns. »Dann hättest du warten sollen, wie ich es getan habe. Ich kam, direkt nachdem die ganzen Dummheiten in Cassori vorüber waren, und habe diese Idioten, die noch nichts verkauft hatten, so gut wie ausgeraubt. Was haben sie sich eingebildet – daß ein solcher Markt ewig anhalten würde? Dummköpfe. Sie waren mir regelrecht dankbar, daß ich ihnen den Kram abgenommen habe.«
Er schaute an ihr vorbei zu Linden, den sie in ihrem Rücken spürte, und tat Maurynna als unwichtig ab, wie er das immer getan hatte. »Ich nehme an, Ihr seid Linden Rathan?« sagte Breslin höflich, eine unverschämte Braue
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