Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
eine junge Frau mit raschem, zupackendem Geist und einer Begabung für Riyudal, eine Art traditioneller assantikkanischer Dichtkunst. Sulae, auf der anderen Seite, war eine Zuhörerin, die die Nuancen, die eine Meisterin in dieser komplizierten Kunst erreichen konnte, zu schätzen wußte. Famissa war eine ihrer wenigen echtmenschlichen Freunde gewesen.
Nun stand Famissas Urenkel vor ihr und betrachtete sie einen Augenblick lang. Dann erhellte ein freundliches Lächeln seine Miene, und er verbeugte sich. »Drachenlord«, begrüßte er sie. »Sulae Shallanan. Es ist mir eine Ehre und eine Freude, Euch kennenzulernen, Euer Gnaden.«
Sulae knickste. »Ihr ehrt mich, Euer Majestät«, sagte sie. »Dafür danke ich Euch, und dafür, daß Ihr jetzt schon Zeit für mich habt.«
»Wir hören so weit im Süden selten vom Drachenhort, Euer Gnaden, also bin ich entzückt über diesen unerwarteten Besuch. Die Botschaft sagte, Ihr hättet eine Bitte der Herrin zu überbringen?«
Sulae nickte. »Ja. Vor drei Tagen ist die Saethe zusammengetreten; mein Auftrag ist das Ergebnis dieser Sitzung.«
»Und es geht um etwas sehr Dringendes und Vertrauliches, wie Eure Botschaft mir mitteilte. Deshalb habe ich vorgeschlagen, daß wir uns hier treffen.« Er machte eine Geste, die den Garten umfaßte. »Hier kann uns niemand belauschen.« Er bot ihr den Arm. »Sollen wir ein wenig umhergehen, meine Dame?«
Sie hakte sich bei ihm ein. »Gerne, mein Herr.«
Als sie weiter in den Garten hineingingen, sagte der Kaiser der Dämmerung: »Ich habe gehört, daß vor nicht allzu langer Zeit im Ödland Drachen – viele Drachen – gesichtet wurden. Jäger waren die ersten, die sie erblickten; sie haben Berichte weitergegeben. Die Drachen jagten und ruhten sich aus, dann flogen sie weiter. Das nächste hörten wir von der Küste – Drachen landeten in der Abenddämmerung und flogen lange vor dem Morgen wieder weiter. Dann kehrten sie nur einen Tag später zurück.« Chakkarin blieb stehen. Er senkte die Stimme. »Und es waren erheblich weniger als zuvor. Drachenlords oder Echtdrachen?«
»Echtdrachen.«
»Und jene, die nicht zurückkehrten?«
Sulae Shallanan holte tief Luft. »Tot. Die meisten sofort. Jene, die zu schwer verwundet waren, um weiterfliegen zu können, wurden von ihren Verwandten getötet, weil sie sie nicht in Jehanglan zurücklassen wollten.«
Er schloß einen Augenblick lang die Augen und schauderte. »Mögen die Götter ihnen gnädig sein«, sagte Chakkarin. »Hat Euer Besuch etwas mit dieser Tragödie zu tun?«
»Ja«, erwiderte Sulae. Sie entzog ihm ihren Arm und ging weiter, die Arme fest vor der Brust verschränkt, um sich die Tränen zu verkneifen. Sie sagte nichts. Sie konnte nicht sprechen. Er hielt schweigend Schritt mit ihr.
Selbst als sie ihre Gefühle wieder beherrschen konnte, wartete sie, bis sie weit von den Hecken entfernt waren, in denen sich ein Spion verstecken konnte. Als sie annahm, daß sie einen sicheren Abstand erreicht hatten, blieb sie stehen, legte die Finger an die Lippen und lauschte. Chakkarin regte sich nicht.
Nein; keine Geräusche, die in einem stillen Garten ungewöhnlich gewesen wären. Nur eine entfernte Zikade, die in der heißen, süß duftenden Luft zirpte, und in größerer Nähe das Summen von Bienen, verschlafen und zufrieden. Sulae wußte, wenn irgendwer nahe genug gewesen wäre, sie zu belauschen, wenn sie leise miteinander sprachen, dann war sie selbst auch nahe genug, um die Atemzüge mit ihrem ungewöhnlich scharfen Gehör wahrnehmen zu können.
Der Kaiser der Dämmerung legte fragend den Kopf schief.
Sulae lächelte. »Wir sind tatsächlich allein. Wir können jetzt sprechen. Zuerst habe ich eine Frage an Euch, Euer Majestät: Dürfen fremde Gauklertruppen immer noch durch Jehanglan reisen?«
Sie hätte beinahe laut gelacht, als sie seine erstaunte Miene sah. Was immer der arme Mann erwartet hatte, das war es ganz bestimmt nicht.
»Ja, sicher«, brachte er schließlich hervor. »Sogar mehr als in früheren Jahren; Xiane ma Jhi, der gegenwärtige Phönixherrscher, hat viel für Jongleure und Akrobaten und ähnliches übrig, und viele seiner Adligen haben sich seinem Geschmack angepaßt. Es besteht immer Bedarf nach neuen Schaustellern. Das Haus Mhakkan stellt häufig größere Truppen zusammen, indem es mehrere kleinere anheuert oder manchmal bestimmte Nummern aus unterschiedlichen Truppen zusammenfügt.«
Das paßte zu dem, was Taren der Saethe mitgeteilt hatte. Und
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