Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
eigenen Krönung beschrieben hatte. Sie hatte das Gefühl gehabt, betrogen zu werden; nun war sie froh.
Nur Xianes Hand unter ihrem Ellbogen bewahrte sie davor, zu stolpern; er stützte sie, bis sie ihre Sänften erreicht hatten. Dieselben beiden Priester wie zuvor halfen ihr. Obwohl sich ihr Kopf immer noch drehte, fühlte Shei-Luin sich besser, sobald sie saß.
Xiane ging zu seiner eigenen Sänfte. Er mußte etwas zu den Trägern gesagt haben, dachte sie, denn beinahe bevor er saß, hoben sie die Sänfte schon und gingen auf das Tor zu.
Dann war sie an der Reihe. Als sie durch den breiten Mittelgang und an gold- und elfenbein- und bernsteinbedeckten Wänden entlangkamen, richtete Shei-Luin trotzdem den Blick auf das Tageslicht voraus.
Niemals würde sie die Macht des Phönix grundlos heraufbeschwören. Ebenso wie Feuer konnte diese Macht wärmen, aber auch töten. Aber nun hatte Shei-Luin einen Anspruch auf diese Macht. Sie war Kaiserin, und ihre Söhne waren die anerkannten Erben. Sie war zufrieden – zumindest im Augenblick.
Verflucht, da war es wieder! Rynna drehte sich im Sattel um und spähte in die Umgebung.
Nichts – nichts, bis auf das grüne Grasland und das Glitzern eines kleinen Flüßchens in der Nähe. Leise vor sich hin murmelnd schaute sie wieder nach vorn.
Sofort begann die Haut zwischen ihren Schulterblättern wieder zu kribbeln.
11. KAPITEL
Zu Shei-Luins Überraschung ging Xiane nur ein paar Tage nach ihrer Krönung auf die Jagd. Es kam ihr seltsam vor, da er seinen liebsten Jagdgefährten verloren hatte, als Yesuin geflohen war.
Seltsamer war es noch, daß sie seine Abwesenheit bedauerte. Um ehrlich zu sein, fehlte er ihr. Also füllte sie ihre Tage mit dem Lesen der Berichte, die Xiane von Minister Musahi für sie vorbereiten ließ, und damit, den ehemaligen Lehrer über die Lage in Jehanglan auszufragen. Zu wahrscheinlich ihrer beider Verblüffung kamen sie gut miteinander aus. Shei-Luin begriff schnell, wieso Xiane diesen pedantischen, beflissenen Mann so sehr schätzte.
Wenn sie nicht mit Musahi sprach, ging sie in den Privatgärten der Kaiserin – ihren Privatgärten – umher und fütterte die Karpfen im Lotusteich. Entgegen aller Tradition befahl sie, daß Xahnu und Xu aus dem Pavillon in den Khorushin-Bergen zurückgebracht wurden und in ihren Gemächern wohnten und nicht in den kaiserlichen Kinderzimmern. Sie spielte mit ihnen im Garten; zumindest jetzt würde sie ihre Kinder endlich oft genug zu sehen bekommen.
Wenn es Abend wurde und die Jungen im Bett waren, sang Zyuzin ihr vor, bis sie einschlief.
Aber jede Nacht erwachte sie im Dunkeln und fragte sich, wann Xiane von der Jagd zurückkehren würde.
Als »kaiserlicher Bote« hatte Yesuin ein Anrecht auf Essen und ein Bett in jeder Wegstation an seiner Route oder in einem Gasthaus, wenn es keine Station gab. Er vermied diese öffentlichen Stationen, wann immer es möglich war, und machte nur halt, wenn er die Pferde wechseln mußte, damit ihn niemand aus dem Palast erkannte oder unangenehme Fragen über seine Route stellte.
Selbst in den Gasthäusern fühlte er sich unbehaglich, aber als er keine Vorräte mehr hatte, machte er an einem halt, um sich und sein Pferd auszuruhen. In Gasthäusern hielt der Anblick seiner Uniform und des Abzeichens mit dem Pferd auf Brust und Rücken zumindest die Neugierigen fern. Gewöhnliche Menschen vermieden alle Verwicklungen mit dem kaiserlichen Hof.
An diesem Abend war seine Satteltasche wieder leer, er hatte seit anderthalb Tagen nichts gegessen, und sein Pferd war vollkommen erschöpft. Er ritt in die kleine Stadt und die einzige Straße entlang und hielt auf das Schild mit der Hirsegarbe und dem Reisstroh darauf zu, dem Zeichen für ein Gasthaus. Als er an dem kleinen Tempel vorbeikam, flatterte eine Taube über ihn hinweg. Das letzte Sonnenlicht schimmerte auf ihren weißen Flügeln, als sie auf dem wackeligen Holzturm neben dem Tempel landete. Er sah Gewänder wirbeln, als der Priester, der sich um die Tauben kümmerte, die Leiter hinaufkletterte, um den Vogel willkommen zu heißen und ihm die Botschaft vom Bein zu nehmen.
Lautete diese Botschaft vielleicht: Nehmt sofort jeden kaiserlichen Boten gefangen, der aussieht wie ein Zharmatianer?
Wäre er nicht so müde gewesen, hätte ihm der Gedanke einen Schauer über den Rücken gejagt. Aber er hatte auf seinem Ritt viele Tauben gesehen, und keine hatte etwas mit ihm zu tun gehabt. Er war tief im Herzen sicher, daß das
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