Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
absetzen können. Wenn ich mich richtig an die Landkarte erinnere, führt der Schwarze Fluß nach Süden zur Hauptstadt. Aber der Kajhenral liegt im Norden. Ihr habt ihnen immer wieder geraten, noch zu warten, Taren. Wann wäre der beste Zeitpunkt?«
Linden erstarrte bei Llelds Worten. Er war Taren dankbar gewesen, daß er den Zeitpunkt hinausschob, an dem er sich von Maurynna trennen mußte. Aber Lleld hatte recht; dies war schließlich der Grund, weswegen sie nach Jehanglan gekommen waren …
Er sah Maurynna an, die jetzt ins Feuer schaute und auf der Unterlippe kaute. Maurynna, wagte er sich in Gedankensprache vor und legte alles, was er empfand, in ihren Namen. Sie sah ihn an und bedachte ihn mit einem dünnen, tapferen Lächeln.
Wir wußten, daß es soweit kommen würde, sagte sie.
Die Sorgenperlen erschienen wie durch Zauberkraft. »In Rhampul. Sobald wir den Schwarzen Fluß erreicht haben, können Maurynna und Raven ihm nach Norden folgen, bis sie eine Stelle finden, wo sie ihn überqueren können. Dann brauchen sie diesem Ufer nur nach Norden zu folgen; sie werden auf derselben Flußseite sein wie der Kajhenral.«
Linden schloß die Augen, um sich die Landkarte vorzustellen. »Er hat recht. Wie weit sind wir noch von Rhampul entfernt?«
»Etwas weniger als einen Tag – noch weniger, wenn wir uns beeilen.«
So wenig Zeit …
Es war gleich, was die Wachen sagten; in dieser Nacht würden Maurynna und er sich auf einen langen Spaziergang machen – allein. Ihr Zelt war nicht privat genug.
Abermals saß er Fürst Kirano beim Tee gegenüber. Wie immer trug der ältere Mann seine ruhige Heiterkeit wie einen Mantel. Sie umgab ihn, schützte ihn, verhinderte, daß die Gefühlsströme auf ihn eindroschen. Keine Angst berührte Kirano, kein Zweifel erschütterte ihn, keine Unsicherheit bewirkte, daß er auf dem Weg, den ersieh erwählt hatte, ins Stolpern geriet. So vollständig war seine Rüstung, daß er dem Mann, der sein Leben in der Hand hielt, in die Augen sehen konnte und imstande war, den zutiefst verwurzelten Glauben des Mannes herauszufordern.
Aber diesmal wußte Xiane, daß er das letzte Argument in der Hand hatte. Diesmal würde er diese übernatürliche Ruhe erschüttern.
»Ihr sagtet, daß Xilu und Gaolun falsche Orakel benutzten. Behauptet Ihr, daß alle Orakel falsch sind?« wollte Xiane wissen. »Daß sie alle lügen?«
»Nein, absolut nicht«, sagte Kirano. »Sicher, es hat falsche Orakel gegeben, aber häufig hat man sie bald entlarvt und sich darum gekümmert. Nein, ein wahres Orakel spricht, wie ein Seher der Zharmatianer oder der Tah’nehsieh, nur die Wahrheit. Wir mögen diese Wahrheit nicht immer verstehen«, gab Kirano mit einem Lächeln zu, »aber die Zeit wird zeigen, welche Wahrheit es war.«
Gut – Kirano hatte selbst das Fundament für Xiane gelegt. Nun schichtete er die nächste Lage Steine. »War das alte Orakel des Nira ein falsches?«
»Myan? Nein. Er war ein wahres Orakel, bevor er für seine Begabung zu alt wurde. Vielleicht nicht so mächtig wie Pah-kos derzeitiges Orakel, aber stark.«
»Ha!« Xiane schlug sich vergnügt auf den Oberschenkel. Nun kam der Schlußstein seines Angriffs. »Und was ist mit Myans Prophezeiung, daß einer von meinem und Eurem Blut Jehanglan vor einer Katastrophe schützen würde? War das falsch? Eure Tochter Shei-Luin hat mir zwei schöne Söhne geschenkt. Das genügt doch sicher, den Phönix zu halten und die Katastrophen zu bannen, von denen Myan sprach.«
Er grinste triumphierend. Da! Sollte Kirano einen Ausweg finden, dachte er bei sich und trank seinen Tee.
Kirano setzte die eigene Teeschale auf den niedrigen Tisch, dann faltete er die Hände im Schoß. Er nahm, dachte Xiane, die Niederlage voller Gleichmut hin. Aber sein eigener Vater - der alte Kaiser – hatte nie abgestritten, daß Kirano das Musterbild eines Adligen war, selbst wenn er ihn als Ketzer verfluchte.
Dann hob Kirano die Stimme. Diese Stimme war ruhig und vernünftig, wie immer, aber seine Worte drangen in Xianes Herz wie ein Schwert. »Sie mögen von Eurem Blut sein, aber nicht von meinem.«
Xiane fühlte sich plötzlich schwindelig, als wäre er zu schnell aufgestanden, und die Welt wurde grau am Rand. Irgendwie gelang es ihm, die Teeschale abzusetzen, ohne etwas zu vergießen. »Wie meint Ihr das?«
Kirano blinzelte wie eine weise, alte Schildkröte. »Nehmt es Shei-Luin nicht übel. Ich habe es ihr nie gesagt, und ich bezweifle sehr, daß ihre Mutter, meine
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