Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
zu, aber Linden nahm an, daß die verächtliche Geste zu neun von zehn Teilen gekünstelt war; er hatte den beunruhigten Blick des lern ur bemerkt.
»Yemal«, sagte Dzeduin drängend. »Es bringt Unglück, einer Seherin zu widersprechen. Wenn du Yesuin Schaden zufügst, legst du dich gleich mit zweien an. Wenn Zhantse Yesuin haben will, soll er ihn doch haben, bei der Mutter! Wir haben gerade einen Krieg angefangen – wir können es nicht brauchen, daß uns jemand verflucht!«
Ghulla gackerte abermals und entblößte einen Mund voll schiefer Zähne. Ihr Kopf wackelte auf ihren knochigen Schultern. »Du bist ein kluger Welpe, Dzeduin, und noch so jung! Hör gut auf ihn, Yemal, nun und immer. Wenn der Weg frei ist, bringen wir Yesuin zu Zhantse. Bis dahin beanspruche ich ihn; er soll hier bei mir im Ham’ausoe bleiben.«
Linden hörte, wie Yesuin einen leisen, erleichterten Seufzer ausstieß, und sah, wie Jekkanadars Lippen zuckten, als versuchte er, ein Lächeln zu verbergen.
Yemal warf der Seherin und seinem Pflegebruder zornige Blicke zu, aber am Ende knurrte er: »Also gut.« Dann wandte er sich den Drachenlords und Otter zu und sagte: »Kommt!«
Die Nachricht von Xianes Tod stürzte den kaiserlichen Palast ins Chaos. Weinende Diener rannten hin und her und wehklagten, daß die Zharmatianer sie nun alle töten würden. Shei-Luin, die durch den öffentlichen Teil des Palastes streifte wie eine Tigerin, erwischte einen der geringeren Minister, der vorbeilief, am Ärmel. Als er sich ihr zuwandte und jammerte: »Wir sind verloren! Wir sind verloren!«, versetzte sie ihm eine kräftige Ohrfeige.
Erst jetzt sah er sie wirklich. »Erlauchte Phönixherrscherin«, keuchte er und sank auf die Knie.
»Wertloser«, fauchte sie, obwohl es weh tat, mit geschwollener Wange zu reden, »finde die hochrangigen Adligen und Minister und bringe sie in den Audienzsaal. Hast du mich verstanden? Sag ihnen, wer nicht kommt, wird hingerichtet. Geh!«
Eindeutig entsetzt kam der Mann zitternd auf die Beine und rannte davon. Shei-Luin wandte sich Murohshei und Zyuzin zu, die ihr seit ihrer Rückkehr aus dem Garten auf dem Fuß gefolgt waren.
»Murohshei – kümmere dich darum, daß er gehorcht, dann komm wieder zu mir. Du, Zyuzin, gehst in die Gemächer der Kinder. Laß Xahnu in meine Gemächer bringen.«
Es war schon spät, als Shei-Luin den Audienzsaal betrat, in den sie sich vor Monaten schon einmal gewagt hatte. Diesmal jedoch rauschte sie als Kaiserin herein, nicht als unverschämte Konkubine. Hinter ihr kam Murohshei, einen schläfrigen und verwirrten Xahnu auf dem Arm.
Shei-Luin sah in die Gesichter, als sie an den Ministern vorbeiging: Sie merkte sich, wer sie voller Haß betrachtete, wer hoffnungsvoll, wer einfach nur verwirrt und ängstlich dreinschaute. Schritt um Schritt ging sie zu der Treppe, die zum Podium führte. Dort standen die Throne von Jehanglan. Sie hielt inne und sah sie einen Augenblick lang an, dann wandte sie sich Murohshei zu und nahm ihm Xahnu ab.
Sie begann, die Treppe hinaufzugehen. Sie umarmte Xahnu fest und flüsterte ihm ins Ohr: »Weine nicht, mein kleiner Phönix. Es ist alles gut. Sei tapfer. Ich werde nicht zulassen, daß dir jemand etwas tut.«
Als sie die Throne erreichte, war Xahnu still in ihren Armen. Sie wandte sich dem mächtigsten Adligen von Jehanglan zu.
»Euer Kaiser ist tot«, rief sie. »Aber Eure Kaiserin und Euer nächster Kaiser leben. Die Barbaren heulen an den Grenzen, und Jehanglan ist in Todesgefahr. Versucht den Thron zu erobern, jeder für sich selbst, und Jehanglan geht vor die Hunde.«
Schweigen empfing ihre Worte. Sie spürte die Panik darunter; diese Männer wußten, daß sie die Wahrheit gesprochen hatte. Sie wiegte Xahnu, drehte sich um und ging zu den Thronen. Sie blieb vor dem Thron der Riya-Akono – ihrem Thron -stehen.
Eine rasche Bewegung, und bevor jemand noch protestieren konnte, saß sie auf dem Phönixthron, Xahnu auf ihrem Schoß.
»Ich beanspruche diesen Thron für meinen Sohn«, sagte sie, und ihre Stimme hallte im Saal laut wider. »Ich beanspruche diesen Thron als Regentin. Wer wird mir folgen und Jehanglan retten?«
Niemand regte sich. Xahnu schien die wachsende Spannung zu spüren und wand sich unruhig auf ihrem Schoß.
Shei-Luin zählte ihre Herzschläge.
Dann trat der alte General V’Choun vor und ging zum Anfang der Treppe. Seine Augen waren gerötet, und er sah um Jahre gealtert aus. Shei-Luin erinnerte sich, daß Xiane sehr liebevoll
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