Drachenmagier
unser Tun und Lassen als selbstverständlich
hingenommen hatte. Es war
von der Vergangenheit gesprochen worden, aber ich hatte kaum
zugehört. Nie
hatte ich Fragen gestellt, an nichts je gezweifelt. Mir wurde klar,
daß ich
sehr wenig darüber wußte, was es bedeutete, ein
Sartan zu sein, sehr wenig über
die Große Teilung und wie es dazu kam. Ich begann nach diesem
Wissen zu
hungern. Ich bin immer noch hungrig danach.«
Alfred sah die
Ratsmitglieder der Reihe nach um Verständnis
heischend an. »Könnt ihr das
nicht begreifen? Ich möchte wissen, wer ich bin, wohin ich
gehe. Weshalb ich
hier bin. Was man von mir erwartet.«
»Das sind Fragen, mit
denen die Nichtigen sich quälen«, meinte
Samah tadelnd. »Eines Sartan
unwürdig. Ein Sartan kennt Sinn und Zweck seines Daseins und
handelt
entsprechend.«
Alfred nickte. »Wäre
ich nicht auf mich allein gestellt gewesen, hätte ich mir
wahrscheinlich nie
solche Fragen gestellt. Doch es gab niemanden, an den ich mich
um Unterweisung
hätte wenden können.« Er hatte die
unterwürfige Demutshaltung abgeschüttelt, die
Überzeugung, im Recht zu sein, machte ihn stark,
»Aus dem, was ich in der
Bibliothek gelesen habe, geht hervor, daß andere vor
mir dieselben Fragen
gestellt haben. Und sie fanden Antworten.«
Einige Ratsmitglieder
wechselten unbehagliche Blicke, dann richteten sich alle Augen auf
Samah, der
nachdenklich, den Kopf auf Daumen und Zeigefinger einer Hand
gestützt, dasaß.
Er sah Alfred mit ernster Teilnahme an. »Ich kann
dich jetzt besser verstehen,
Bruder. Du hättest dich uns früher
anvertrauen sollen.«
Alfred errötete, doch
er senkte nicht den Blick auf die Schuhspitzen wie gewöhnlich,
sondern musterte
Samah unverwandt, mit jenem prüfenden Blick, der Orla so
beunruhigte.
»Laß mich dir unsere
Welt beschreiben, Bruder«, sagte der Archont, beugte
sich vor und legte die
Fingerspitzen auf der Tischplatte zusammen.
»›Erde‹, wurde sie genannt. Einst,
vor vielen tausend Jahren, war sie ausschließlich von
Menschen bewohnt. Ihrem
streitsüchtigen, destruktiven Naturell
gemäß führten sie zahllose kleine
Kriege und schließlich einen großen, der wie ein
Feuerbrand um die ganze Welt
lief. Er zerstörte nicht den ganzen Planeten, wie so viele
befürchtet und
vorhergesagt hatten, doch er bewirkte unwiderrufliche
Veränderungen. Neue
Rassen, heißt es, wurden aus Rauch und Feuer des Kataklysmus
geboren. Ich
zweifle daran. Ich glaube, daß es diese Rassen immer schon
gegeben hatte, aber
sie hielten sich im verborgenen und warteten, daß der Morgen
eines neuen Tages
heraufzog. Angeblich erwachte zur selben Zeit die Magie in der
Welt, obwohl
man weiß, daß diese uralte Macht seit Anbeginn der
Zeit existierte. Auch sie
hatte auf den neuen Tag gewartet.
Über die Jahrhunderte
hinweg hatte es unzählige Religionen gegeben; es war
das Bestreben der
Nichtigen, ihre Sorgen und Nöte einem abstrakten
Höheren Wesen aufzubürden.
Diese Wesen gab es in den verschiedensten Spielarten. Sie
waren unsichtbar,
launisch und verlangten, ohne Nachweis ihrer Existenz auf Treu
und Glauben
genommen zu werden. Kein Wunder, daß die Nichtigen, als wir
Sartan zu ihnen
kamen, dankbar uns in ihr Pantheon erhoben, Götter aus Fleisch
und Blut, die
ihnen strenge Gesetze gaben, an die sie sich halten konnten.
Alles ließ sich gut
an, wären nicht gleichzeitig unsere Gegner, die Patryn, an die
Macht gekommen. 43 Die Nichtigen
waren verwirrt, viele liefen zu
den Patryn über, die ihre Anbeter mit Reichtum und
Macht auf Kosten anderer
belohnten.
Wir bekämpften den Feind, doch es war schwierig. Die
Patryn sind raffiniert und verschlagen. Zum Beispiel trugen sie nicht
die Krone
eines Fürstentums, das überließen
sie den Nichtigen. Doch man konnte sicher
sein, einen ihrer Sorte bei Hofe in der Rolle des
›Ratgebers‹ oder ›Kanzlers‹
zu finden.«
»Aber«, warf Alfred
ein, »nach allem, was ich gelesen habe, hatten auch die
Sartan häufig solche
Positionen inne.«
Samah
runzelte mißbilligend die Stirn bei dieser
Anspielung. »Wir waren ehrliche Ratgeber.
Wir mißbrauchten unseren Einfluß nicht, um Throne
zu usurpieren und die
Nichtigen zu wenig mehr als Marionetten zu erniedrigen. Wir
bemühten uns zu
lehren, zu verfeinern, zu korrigieren.«
»Und wenn die Nichtigen eurem Rat nicht folgen
wollten«,
meinte Alfred halblaut, ohne den Blick von Samahs Gesicht zu
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