Drachenmagier
zog mit den
Zähnen die Dornen heraus, spuckte sie auf den Boden
und faltete die Hände zum
heilenden Kreis, wie man es ihn gelehrt hatte. Die roten
Schwellungen an den
Einstichstellen verschwanden, die Haut war glatt und unversehrt, wenn
auch
etwas schmutzig. Sein Vater nickte wieder, stand auf und ging. Zwei
Tage später
waren er und Haplos Mutter tot. Haplo blieb allein zurück.
Die Glücklichen und
die Starken sind meistens einsam…
Haplos Gedanken
trieben auf einer Wolke aus Schmerzen und Schwäche dahin. Er
zeichnete das Siegel
für seinen Vater, und dann war sein Vater plötzlich
der Herrscher des Nexus,
der Haplo mit einer Dornengerte peitschte.
Haplo biß die Zähne
zusammen und konzentrierte sich auf die Runen. Langsam wanderten seine
Finger
den linken Arm hinunter, zu den Sigeln, die er als Knabe begonnen und
als Mann
vollendet hatte.
Um die Sigel an seinen
Beinen erreichen zu können, mußte er sich aufsetzen.
Beim ersten Versuch wäre
ihm beinahe schwarz vor Augen geworden, aber er kämpfte sich
aus den wirbelnden
Nebelschwaden empor und spähte zwischen den flimmernden
Lichtpunkten hindurch,
die vor seinen Augen tanzten, und schaffte es, den Oberkörper
aufzurichten. Mit
zitternden Fingern folgte er den Runen an Oberschenkeln,
Hüften, Knien,
Unterschenkeln, Füßen.
Jeden Augenblick
rechnete er damit, den Biß der Dornengerte zu
fühlen, den barschen Tadel zu
hören: »Nein! Falsch! Von vorn!«
Dann war es vollbracht,
und es war gut. Er sank auf die Decksplanken zurück und
spürte, wie die
heilende Wärme sich von der Namensrune über dem
Herzen durch seinen ganzen
Körper ausbreitete.
Haplo schlief ein.
Als er aufwachte,
fühlte er sich immer noch schwach, aber nur, weil er so lange
nichts gegessen
und getrunken hatte. Er stand auf und warf einen Blick aus dem
großen
Bugfenster, um sich zu orientieren. In seinem Unterbewußtsein
regte sich vage
die Erinnerung, wieder durch das Todestor gekommen zu sein, aber sie
ging einher
mit einem Inferno von Schmerzen, und er schüttelte
sie hastig ab.
Wenigstens drohte
keine unmittelbare Gefahr. Der matte Schimmer der Runen auf seiner Haut
war
eine Reaktion auf das, was er durchgemacht und erlitten hatte, nicht
die
Warnung vor einer Bedrohung. Außerhalb des Schiffs
gab es nichts als eine
ungeheure leere Bläue. Himmel, Wasser, feste Materie,
gasförmig – er wußte es
nicht, und ihm war zu flau vor Hunger, um sich den Kopf
darüber zu zerbrechen.
Steifbeinig verließ er
die Brücke und ging zum Laderaum, wo er den Proviant
verstaut hatte. Trotz
seines Hungers aß er nur etwas Brot, in Wein getaucht,
eingedenk der Warnung:
›Nach langem Fasten kein Festmahl!‹
Anschließend kehrte er
einigermaßen gekräftigt auf die Brücke
zurück und kleidete sich an. Unter der
Hose aus Leder, dem weißen Hemd mit den langen,
gebauschten Armem, der
Lederweste und den Stiefeln verschwanden die verräterischen
Tätowierungen, an
denen er für alle jene, die sich an ihre Geschichte
erinnerten, als Patryn
kenntlich war. Nur die Hände blieben vorerst frei, denn er
würde das Schiff
steuern müssen, mittels der magischen Runen auf dem
Kompaßstein.
Wenigstens nahm er an,
daß es bald nötig sein würde, das
Schiff zu steuern. Haplo starrte in das
rätselhafte Aquamarinblau, das ihn umgab. War das nun
eine Himmelskuppel, die
sein ganzes Blickfeld ausfüllte, oder eine blaugestrichene
Wand, an der er
gleich Schiffbruch erleiden würde?
»Am besten gehen wir
ans Oberdeck und sehen uns die Sache einmal genauer an, was meinst du,
alter
Junge?« fragte er. Als das freudige Bellen ausblieb,
das sonst einer solchen
Aufforderung folgte, schaute Haplo sich forschend um.
Der Hund war nirgends
zu sehen.
Erst jetzt kam Haplo
zu Bewußtsein, daß er das Tier nicht mehr gesehen
hatte, seit – seit… Nun,
schon ziemlich lange nicht.
»Hierher, Junge!«
Haplo stieß einen Pfiff aus. Stille. Kein Bellen, kein Jaulen
oder Winseln.
Verärgert, weil er
glaubte, der Hund hätte sich über die Würste
hergemacht, marschierte Haplo
wieder zum Laderaum, überzeugt, das Tier dort mit der
typischen Miene lauterer
Unschuld zu finden.
Der Hund war nicht da,
die Würste unversehrt und vollzählig.
Haplo rief. Nichts. Da
wußte er, daß der Hund fort war, und ein
Gefühl der Verlassenheit und Trauer
durchfuhr ihn wie ein stechender Schmerz, der fast schwerer zu ertragen
war als
die
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