Drachenmagier
habe
lange bei ihnen gelebt, habe ihre Freude und ihren Kummer geteilt,
kenne ihre
Ängste und Träume. Ich begreife, wie hilflos und
ohnmächtig sie sich fühlen.
Und trotz ihrer Fehler, ihrer Unzulänglichkeiten,
kann ich nicht anders, als
sie bewundern für das, was sie erreicht haben.«
Orla runzelte die
Stirn. »Aber ich sehe in deinem
Bewußtsein, daß sie nicht davor
zurückschrecken,
Krieg gegeneinander zu führen – Elfen befehden
Menschen, Menschen streiten auf
dem Schlachtfeld gegen Zwerge.«
»Und wer«, konterte
Alfred, »hat die furchtbarste Katastrophe
ausgelöst, die je über sie
hereingebrochen ist? Wer hat Millionen getötet, unter dem
Vorwand, das Beste zu
wollen; wer zerstückelte ein Universum, wer versetzte die
Überlebenden auf
fremde Welten und lieferte sie einem Ungewissen Schicksal
aus?«
Zwei brennendrote
Flecken erschienen auf Orlas Wangen. Die senkrechte Linie auf ihrer
Stirn
vertiefte sich.
»Es tut mir leid«,
entschuldigte Alfred sich hastig. »Ich habe nicht das
Recht… Ich war nicht
dort…«
»Du warst nicht dort, auf jener Welt, die meinem Herzen so
nahe ist, auch wenn der
Verstand mir sagt, daß sie nicht mehr existiert. Du
weißt nichts von unserer
Angst vor der wachsenden Macht der Patryn. Sie planten unsere
Vernichtung, die
völlige Ausrottung. Und was wäre dann aus deinen
Nichtigen geworden? Sklaven
unter dem eisernen Stiefelabsatz eines totalitären Regimes. Du
weißt nichts von
unserem mühsamen Ringen um eine Lösung,
einen Ausweg. Schlaflose Nächte,
tagelange hitzige Diskussionen. Du weißt nichts von unserer
eigenen, ganz
persönlichen Qual. Auch Samah…«
Sie brach ab und biß sich auf die Lippen.
Wie der Archont beherrschte auch sie die Kunst, ihre
Gedanken zu kontrollieren. Alfred fragte sich, was sie wohl hatte sagen
wollen.
Sie waren, ohne es zu
merken, ein gutes Stück gegangen; die Halle des
Schlafs lag weit hinter ihnen.
Blaue Sigel am Fuß der Mauern wiesen den Weg durch einen
Flur, in dem der Staub
nach wie vor unberührt lag. Ihre Fußspuren waren die
ersten in der grauen
Schicht auf dem Boden. Türen links und rechts führten
in unerleuchtete Zimmer,
in denen sich bald die aus ihrem langen Schlummer erwachten Sartan
einrichten
würden. Vorläufig standen die beiden aber noch allein
in dem unwirklichen,
blaugetönten Halbdunkel.
»Wir sollten umkehren.
Ich hatte gar nicht die Absicht, so weit zu gehen. Der
Speisesaal liegt dort
hinten.« Orla wandte sich ab.
»Nein, warte.« Bevor
der Schreck über seine Kühnheit ihn abhalten konnte,
hatte er ihr die Hand auf
den Arm gelegt. »Vielleicht bietet sich uns nie wieder die
Gelegenheit, so
miteinander zu sprechen. Und ich muß es wissen! Du warst
dagegen, habe ich
recht? Du und noch einige Mitglieder des Rats.«
»Ja, wir waren
dagegen.«
»Was
hattet ihr für einen Plan?«
Orla holte tief Atem. Sie sah ihn nicht an, sondern stand
halb mit dem Rücken zu ihm. Im ersten Moment glaubte Alfred,
sie wolle nicht
antworten, und offenbar hatte sie es auch nicht vor, aber dann
änderte sie mit
einem Schulterzucken ihre Meinung.
»Du wirst es bald
genug herausfinden. Die Entscheidung, uns mittels der Teilung
zur Wehr zu
setzen, wurde besprochen und diskutiert. Sie verursachte
bösen Streit,
Zwietracht in den Familien.«
Sie schüttelte den
Kopf. »Was ich für einen Plan hatte?
Keinen. Ich riet, daß wir abwarten
sollten und uns auf Maßnahmen zur Verteidigung
beschränken, falls ein Angriff
der Patryn erfolgte. Du mußt bedenken, es stand zu keinem
Zeitpunkt fest, daß
sie angreifen würden. Wir fürchteten es
nur.«
»Und die Furcht
siegte.«
»Nein!« fuhr Orla auf.
»Furcht war nicht der Grund für unsere Entscheidung.
Es war die Lockung der
Möglichkeit, eine perfekte Welt zu erschaffen. Vier
perfekte Welten! Wo alle
in Frieden und Eintracht leben würden. Kein Hader mehr, kein
Krieg… Das war
Samahs Traum, und deshalb stimmte ich trotz aller Bedenken für
ihn. Deshalb
erhob ich keinen Einspruch, als er den Entschluß
faßte, die…«
Wieder unterbrach sie
sich.
»Den Entschluß faßte,
die…?« drängte Alfred sie
fortzufahren.
Orlas Miene verhärtete
sich. Sie wechselte das Thema. »Samahs Plan
hätte erfolgreich sein sollen.
Warum ist es anders gekommen? Warum ist er
fehlgeschlagen?« Sie warf ihm einen
scharfen, fast anklagenden Blick zu.
Ich
bin’s nicht gewesen! war
Alfreds
Weitere Kostenlose Bücher