Drachenmord (Funny-Fantasy-Serie: Gesandter der Drachen) (German Edition)
als einen Hang hinab- oder hinaufzuklettern. Und genau das stand uns jetzt bevor. Das arme Pferd strauchelte, rutschte, stürzte. Zwar kamen Sirluîn und ich schnell wieder auf die Beine, doch der Hengst war klug genug, nicht auf uns zu warten. Er nahm Reißaus.
In der Erinnerung steigt mir wieder der Duft des Kriechwacholders in die Nase, der reichlich am Fuß des Königsberges wuchs und in der Abendkühle seinen unverwechselbar herben Geruch verströmte. Ich sog den Duft ein und hetzte dann aufwärts, erreichte Nerade, packte sie an der Hand und zerrte sie mit mir.
„Du unheilbarer Narr“, rief sie. „Wo willst du denn hin?“
„Weg“, keuchte ich.
Aber war das leichter gesagt als getan. Natürlich war man auf uns aufmerksam geworden. Natürlich wurden Pfeile nach uns abgeschossen. Natürlich brachen überall Bewaffnete aus dem Gesträuch und setzten uns nach.
Wir stürmten bergab.
Dann, vollkommen unerwartet, gab der Boden unter uns nach und zusammen mit sehr viel Kriechwacholder und Erde stürzten wir in eine kühle Dunkelheit.
Wir fielen tief und kamen hart auf. Mir blieb der Atem weg. Der Aufprall ließ die Glieder taub werden. Die Nase in heftig piekenden Wacholderzweigen kam ich langsam zu mir. Erst nach einer Weile tastete ich um mich und flüsterte Nerades Namen. Sie antwortete mir nicht. Auch von Sirluîn war nichts zu hören.
Weit oben erahnte ich einen hellen Fleck – wahrscheinlich das Loch, durch das wir gestürzt waren. Meine Finger befühlten den Untergrund. Er war überraschend glatt, kühl, fast metallisch. Ich ertastete eine sonderbare Struktur: Halbkreise …
Jäh begriff ich, wohin wir gefallen waren und weshalb uns der Sturz nicht umgebracht hatte. Unter mir war nicht Stein, nicht Erde, sondern der Leib eines Drachen.
Nyredd der Silberne wollte einfach nicht aus meinem Leben verschwinden.
Ich rief noch mehrmals nach Nerade und Sirluîn. Sie antworteten nicht. Also kletterte ich über den Kopf des toten Drachen nach unten.
Man hatte ihn offenbar in eine Höhle geschoben, denn es war viel Raum ringsum. Vielleicht war bei dem Versuch, diese Höhle zu vergrößern, zu viel im Bereich der Decke weggenommen worden und der Boden hatte deshalb unter uns nachgegeben. Wenn wir Pech hatten, würden wir so noch als Nyredds Grabbeigaben enden.
Ich bewegte mich sehr vorsichtig und das war gut so, denn Nyredd war auf eine Art Plateau gebettet worden. Nachdem ich es in der Dunkelheit sehr sorgsam abgesucht hatte, war klar, dass ich mich weiter unten umsehen musste. Doch wusste ich nicht, wie weit es noch in die Tiefe ging. Meine Hand ertastete grob behauenen Stein. Ich würde klettern müssen. Jedes bisschen Halt suchend, das mir meine verbliebene Hand gewähren konnte.
Also zog ich mir mithilfe der Lippen die Fingerringe ab und steckte sie mir dann in die Tasche.
Ja, man ahnt es – kein kluger Entschluss.
Bedächtig ließ ich mich über die Kante rutschen, krallte die Finger ein, suchte mit den Füßen Halt und hing dann dort. Zitternd. Ich konnte mir nicht leisten, zu verharren. Meine Muskeln würden irgendwann nachgeben. Also weiter.
Kalter Schweiß stand mir auf Stirn und klebte am Rücken, als ich endlich Boden unter den Füßen spürte.
„Nerade? – Sirluîn?“
Ich war schon fast völlig verzweifelt, als ich endlich Sirluîns Stimme hörte.
„Ich bin hier und deine Drachenjungfer ebenfalls. Aber sie ist verletzt und ihre Haut wird langsam kühl.“
Kurz darauf berührte ich etwas. Vorsichtig befühlte ich Stoff und glatte Haut, das ebenmäßige Gesicht … Meine Finger spürten plötzlich Wärme und Feuchtigkeit.
Blut.
Mittlerweile war ich so erschöpft, so niedergeschlagen, dass ich an die Ringe nicht einmal dachte.
„Du musst einen Ausgang finden! Du musst Hilfe holen“, stammelte ich.
In Sirluîns Stimme klang ungewohnt merkliches Mitgefühl, als er sagte: „Das werde ich, Anjûl. Keine Sorge.“
„Es ist das Drachengrab. Nyredd. Irgendwie müssen sie ihn hier hineinbekommen haben. Irgendwo ist vielleicht ein Gang …“
„Ja, das dachte ich mir. Ich werde einen Weg finden.“
Ich streichelte Nerades Hand und war den Tränen nahe. Die Hand war erschreckend kalt, ich spürte, wie das Leben wich und es gab nichts, nichts …
Ja, ich Narr!
Die Ringe! Die Ringe !
Ich ließ Nerades Hand los, zog die Ringe aus der Tasche und saß dann da, mitten in dieser pechschwarzen Finsternis und heulte nun wirklich: vor Wut auf mich selbst. Aus Hoffnungslosigkeit.
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