Drachenpfade - Lukianenko, S: Drachenpfade - Ne wremja dlja drakonow
so ein Schwert? Ich frage dich, wer?«
Im Hinterhof des Hotels, wo ein kleiner Garten angelegt war, stand die junge Wirtin des Restaurants und keifte auf einen älteren Mann ein, der, wenn nicht ihr Großvater, so doch mindestens ihr Vater hätte sein können. Der aber dachte gar nicht daran, sich zu rechtfertigen; als müsste er seine Schuld eingestehen.
»Das soll ein Schwert sein? Das ist ein Tafelmesser!« Rada hob die Klinge von eindrucksvollem Ausmaß etwas über den Kopf und hielt sie dem Mann direkt unter die Nase. »Schau her …«
Ohne jede Anstrengung wirbelte sie das Schwert herum und hieb einen Ast von einem ganz und gar unschuldigen Baum ab. Einen Ast so dick wie ein Arm …
»Und?« Rada stieß die Klinge in die Erde, hob den Ast vom Boden und wies auf die Schnittstelle. »Das soll ein Elfenschliff sein?«
»Nein …«, bekannte der Mann unerwartet und rieb sich nervös die Hände an seiner Lederhose ab. »Euer Gnaden …«
»Ich bin nicht Euer Gnaden!«
»Herrin, der Teufel hat es verwechselt … ich bringe es wieder in Ordnung …«
»Wie willst du das in Ordnung bringen? Willst du die Klinge endgültig ruinieren? Hast du dein Gedächtnis versoffen, dass du einen Elfenschliff mit einem schrägen Pendelschliff verwechselst? Ach, soll dich doch die Dampflok überfahren!«
Viktor erschauderte. Und in diesem Augenblick, wie um Radas Worte zu bekräftigen, erklang ein langgezogenes, durchdringendes Pfeifen.
Wie gelähmt hob Viktor den Blick und sah in der Ferne, hinter dem Zaun, der den kleinen Garten begrenzte, hinter
kleinen Häusern und einem niedrigen länglichen Gebäude, das ihn an … einen Bahnhof erinnerte, im Sonnenlicht die stählernen Bänder der Gleise glänzen.
»O Gott …«, stöhnte Viktor; und da ihm jeder Glaube fehlte, legte er in diesen Ausruf seinen ganzen Vorrat an Verwunderung für diesen Tag.
Ein Zug jagte die Gleise entlang. Vorneweg eine gewaltige, wundersam unsinnige Dampflok mit einem riesenhaften Kessel aus poliertem Kupfer, in dem sich die aufgehende Sonne spiegelte; aus den vier Schornsteinen hinter dem Kessel stiegen schwarze Rauchwolken; auf die Lok folgten drei offene Plattformwagen, auf denen Hügel von Kohle aufgehäuft waren, sowie fünf oder sechs lange, hölzerne Waggons, jeder in einer anderen Farbe angestrichen.
Der Zug gab noch ein weiteres gellendes Pfeifen von sich, dann verlangsamte er allmählich seine Fahrt. Der Rauch, der den Schornsteinen entwich, wurde währenddessen immer dichter.
»Die Route …«, sagte Viktor. »Die Route? Tel!«
Er drehte sich um, aber Tel war natürlich auch jetzt nicht im Zimmer.
»Guten Morgen«, rief ihm Rada von unten zu.
Viktor beugte sich bis zur Taille aus dem Fenster. »Guten Morgen! Rada, was ist das?«
Der Mann neben ihr zog das missratene Schwert aus der Erde und sah mit niedergeschlagenem Blick auf die Schneide.
»Was?«
»Nun …« Er zögerte. »Der Zug …«
»Der Zug. Ist ein Zug.« Rada lachte. »Kommen Sie runter, ich habe Ihnen doch einen Sprudelnden Tag versprochen.«
»Danke.«
Viktor hielt es für angebracht, sich aus dem Fenster zurückzuziehen, ehe die junge Frau ihn endgültig für einen Idioten hielt. Oder war es schon zu spät?
»Nein, Tel, jetzt reicht’s«, brummte er, während er sich anzog. Er ging ins Bad, das sehr anständig aussah, mit einem … hm … normalen Waschbecken und einer Badewanne. Es gab sogar fließend heißes Wasser, das allerdings etwas rostig aus der Leitung kam, aber das kannte er auch von zu Hause. Von der Welt auf der Anderen Seite.
Entschlossen ging Viktor zur Tür. Sie hatte ihren Spaß gehabt – es reichte. Gut, er glaubte an alles, er nahm alles als gegeben hin, er würde sich nicht aufregen. Aber jetzt war es an der Zeit, von hier wegzukommen. Dieser Ort hier war ruhig und friedlich, das Mädchen würde nicht verloren gehen … ha, so eine wie sie würde nirgendwo verlorengehen. Weder nachts auf Moskaus Straßen noch hinter der Grauen Grenze.
Er schloss die Tür und lief die Treppe hinunter. Der rothaarige junge Mann saß nicht an dem Tisch, wohl aber der Elf.
»Mein Teuerster, könnten Sie mir wohl sagen, wohin meine junge Weggefährtin gegangen ist?« Viktor konnte sich den unerträglich falschen, pseudomittelalterlichen Ton einfach nicht verkneifen. »Oder wäre es Ihnen vielleicht sogar möglich, sie zu holen?«
Der Elf maß ihn mit seinen honiggelben Augen und antwortete melodisch: »Selbstverständlich nicht … mein Teuerster.«
»Und
Weitere Kostenlose Bücher