Drachenritter 01 - Die Nacht der Drachen
Nebel auf beiden Seiten des Damms eine feste Mauer bildete.
»Wenn das noch lange so weitergeht«, sagte Jim, »müssen wir stehenbleiben.«
Es war jetzt beinahe unmöglich, auf beiden Seiten weiter als bis zum Rand des Wassers zu sehen, nach vorne reichte die Sicht nicht weiter als ein Dutzend Meter. Sie sogen die kalte, zähflüssige Luft in ihre Lungen, und sie schien sich dort zu setzen und eine Pfütze zu bilden, an der sie zu ersticken drohten. Das Gehen war noch mühsamer geworden, da der Wille unter dem Gefühl der Bedrückung nachgab, das ohne Unterlaß auf ihnen lastete. Das Geräusch ihrer Schritte und der Hufe auf dem sandigen Boden erreichte ihre Ohren fast nicht mehr; und selbst ihre Stimmen klangen schwach, dünn und weit entfernt.
»Brian?« rief Jim und tastete in die Dunkelheit.
»Hier, James…« Der schwache Umriß des gepanzerten Ritters bewegte sich auf Jim zu und prallte mit ihm zusammen, als sie beide stehenblieben.
»Ich glaube, wir können nicht mehr weiter«, sagte Jim.
»Ich glaube auch nicht«, gab Brian zu. »Wir werden wohl bleiben müssen, wo wir sind.«
»Ja …«
Sie standen sich gegenüber, aber keiner konnte mehr die Gesichtszüge des anderen erkennen; sie waren in undurchdringlicher Dunkelheit verloren. Und diese Finsternis wurde noch schwärzer, bis jede letzte Andeutung von Licht verschwunden und die Schwärze vollständig war. Jim fühlte, wie kalte Eisenfinger nach seiner linken Schulter griffen.
»Wir wollen uns aneinander festhalten«, sagte Brian. »Dann wird uns alles, was auf uns zukommt, gleichzeitig treffen.«
»Ja«, stimmte Jim zu.
Sie standen schweigend in der Lichtlosigkeit und warteten, ohne zu wissen worauf; und bald drang die Schwärze noch stärker auf sie ein, jetzt, da sie isoliert waren, und nagte an ihrem Verstand. Aus dem Nichts kam nichts Greifbares, aber aus dem Inneren Jims krochen nacheinander, wie blinde weiße Maden aus einer bodenlosen Grube, alle seine inneren Ängste und Schwächen, alle die Dinge, derer er sich jemals geschämt und die er zu vergessen versucht hatte, alle Würmer seiner Seele …
Er öffnete den Mund, um mit Brian zu sprechen – etwas zu sagen, irgend etwas, nur um den schwarzen Bann zu brechen, der auf ihm lag. Aber er erkannte, daß in ihm schon ein Gift am Werk war. Er vertraute dem Butter nicht länger: denn er wußte, daß das Böse auch in Brian sein mußte, wegen des Bösen, das er in sich selbst wiederentdeckt hatte. Langsam, verstohlen, begann er, sich aus dem Griff des anderen zu lösen …
»Seht!« Plötzlich drang Brians Stimme zu ihm, schwach und fremd, wie die Stimme eines Menschen, der sich weit entfernt hat. »Seht einmal den Weg zurück, den wir gekommen sind!«
Jim wandte sich um. Wie er die richtige Blickrichtung fand, in diesem Nichts, das konnte er niemals sagen. Aber er wandte sich um; und er sah, weit entfernt – so weit entfernt, daß es wie das Glitzern eines Sterns jenseits zahlloser Lichtjahre schien – einen winzigen, schwachen Lichtpunkt.
»Was ist das?« keuchte er.
»Weiß nicht«, erwiderte die verzerrte, wie mechanische Stimme des Ritters. »Aber es kommt auf uns zu. Seht nur, wie es größer wird!«
Langsam, ganz, ganz langsam, wuchs das ferne Licht und kam näher. Es war wie ein Schlüsselloch zum Tageslicht, das sich erweiterte, je näher es kam. Die Minuten tickten vorbei, Sekunde für Sekunde durch Jims Herzschläge abgezählt. Schließlich streckte sich das Licht, verlängerte sich, kam daher wie ein Messerschlitz in einem Tuch aus Finsternis.
»Was ist das?« schrie Jim wieder.
»Ich weiß es nicht…«, wiederholte der Ritter.
Aber beide empfanden, daß das, was da kam, gut war. Es war wieder Leben und Mut; es war eine Macht gegen die Kraft der dunklen Hilflosigkeit, die gedroht hatte, sie zu überwältigen. Als es herankam und immer strahlender wurde, fühlten die beiden, wie ihre Kraft zurückkehrte; und Blanchard regte sich neben ihnen, stampfte mit den Hufen auf den harten Sand und wieherte.
»Hierher!« rief Jim.
»Hierher!« schrie Brian.
Das Licht schoß plötzlich nach oben, griff nach dem Himmel, als sei es durch den Klang ihrer Stimme lebendig geworden. Wie ein großer Stab kam es daher, aufrecht, auf sie zu, wurde breiter, als es sich näherte. Die Dunkelheit wich zurück, hob sich. Das Schwarz wurde wieder zum dichten grauen Zwielicht, dann verdünnte sich das Zwielicht, zerstreute sich. Das scharrende Geräusch von sich nähernden Füßen drang an
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