Drachenritter 04 - Der Drache im Krieg
reden können.«
Chandos trat vor. »Ihr erwähntet das Problem, einige Dutzend Eures Stammes an einem Ort zu versammeln. Ihr kommt also nicht gern zusammen?«
»Hm, nein«, sagte Rrrnlf. »Für gewöhnlich nicht -außer zur Paarungszeit.«
»Und wie oft ist die?« fragte Chandos.
»Mal sehen.« Rrrnlf wurde nachdenklich. »Ich bin ziemlich sicher, daß es in den letzten hundert Jahren eine gegeben haben muß. Aber vielleicht waren es auch zweihundert. Nein, ich bin mir ziemlich sicher, daß in den letzten hundert Jahren eine war.«
»Hundert Jahre zwischen Paarungszeiten?« fragte Jim. »Ist das nicht ziemlich lange?«
»Na ja, Ihr wißt ja, wie das ist«, meinte Rrrnlf. »Jemand wie ich...«
Er blickte selbstgefällig an sich hinab.
»...kann nicht, so wie sich das für einen Seeteufel gehört, selbst für sich sorgen, bis er mindestens achtzig ist. Außerdem wird er erst das, was Ihr erwachsen nennt, mit ungefähr fünfhundert«, sagte er. »Also muß seine Mutter während dieser ersten achtzig Jahre auf ihn aufpassen und ihn beschützen.«
Seine Augen nahmen einen verschwommenen Ausdruck an.
»Ich hatte eine wunderbare Mutter«, sagte er. »Ich wünschte, ich könnte sie wiedersehen - wenn ich mich nur daran erinnern könnte, wie sie aussah. Ich glaube, sie sah ein wenig so aus wie meine gestohlene Dame.«
Plötzlich begann er die bewußtlose Seeschlange grob zu schütteln.
»Wach auf, du!« knurrte er. »Du hast ein paar Fragen zu beantworten.«
Die Schlange rührte sich leicht in seinen Händen und blinzelte.
»Was ist passiert?« quiekte die Schlange.
»Ich habe dir einen Schlag verpaßt«, sagte Rrrnlf grimmig. »Und ich werde es noch mal tun, wenn du uns nicht auf der Stelle die richtigen Antworten gibst. Wo ist Essessili? Er hat meine Dame!«
»Dame?« wiederholte die Seeschlange immer noch benommen. »Was für eine Dame?«
»Meine Dame!« schrie Rrrnlf. »Erzähl mir nicht, er hätte sie nicht, denn ich weiß, daß er sie hat. Wo ist er?«
»Ich weiß es nicht!« kreischte die Schlange, als Rrrnlf ihren Körper mit einer Hand losließ und besagte Hand abermals zur Faust ballte. »Ich weiß es wirklich nicht! Er ist irgendwo draußen in den Gewässern des Ärmelkanals, oder vielleicht auch an der Küste dieses anderen Landes, das man Frankreich nennt. Er ist nicht mit uns anderen an Land gekommen. Ich weiß nicht, ob er Eure Dame hat. Ich habe ihn nie mit so etwas wie einer Dame gesehen. Wie sieht eine Dame denn aus?«
»Sie sieht wunderschön aus!« blaffte Rrrnlf ihn an. Er schien im Begriff zu sein, seine Faust abermals auf den Schlangenkopf hinunterkrachen zu lassen, erinnerte sich dann anscheinend aber daran, daß es gewisse Gründe dafür gab, die Schlange bei Bewußtsein zu halten. Er wandte sich an Jim und Chandos. »Habt Ihr beiden kleinen Ritter irgendwelche Fragen?«
»Das wißt Ihr doch, Rrrnlf«, sagte Jim tadelnd. Die ungeheure Kraft, die Rrrnlf in seinem gewaltigen Körper zu beherbergen schien, hatte ihn überrascht und nicht wenig erschreckt. Selbst angesichts der gewaltigen Größe seiner Hände schien diese Kraft ein wenig unvorstellbar. Dann fiel Jim wieder ein, daß der Seeteufel keilförmig war und über diesen großen Händen noch gewaltigere Handgelenke, Unterarme, Oberarme und Schultern sitzen mußten, allesamt mit ihrer Größe entsprechenden Muskeln ausgestattet.
Kein Wunder, daß die Mauer der Burg bebte, wenn er auf die andere Seite hinübersprang. Aber nach diesem ersten, ein wenig ängstlichen Gedanken war Jim wieder eingefallen, daß seine Magie immerhin ausgereicht hatte, um Granfer still werden zu lassen, als er den entsprechenden Zauber ausgesprochen hatte. Auch Rrrnlf mußte, falls notwendig, empfänglich für seine Magie und auch für diesen besonderen Befehl sein.
»Wie viele von euch sind in England ans Ufer gekommen?« fragt Chandos scharf. Dann ging er um die Schlange herum, so daß er direkt vor ihrem Kopf stand und sie einander in die Augen sahen.
Die Schlange war vermutlich mehr als dreißig Fuß lang, aber ihr Körper war einschließlich der kleinen Stummelbeine an keiner Stelle dicker als ungefähr vier Fuß. Der Hals und der Kopf waren ihre kleinsten Körperteile. Also konnte Chandos ihr Auge in Auge gegenüberstehen.
»Ich weiß es nicht«, sagte die Seeschlange. »Ich weiß überhaupt nichts. Man hat mir lediglich gesagt, daß ich hierherkommen solle, und das habe ich getan. Ich habe ein paar kleine Landgeschöpfe gefressen, aber das
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