Drachenritter 05 - Der Drache, der Graf und der Troll
Jim. »Er hält sich vor mir verborgen.«
Aragh wandte sich schon halb zum Gehen. »Ich werde in der Nähe sein.«
Er verschwand zwischen den Bäumen und den scharfen Schatten, die sie auf den Schnee warfen.
Jim trottete in entgegengesetzter Richtung davon, aus dem Wald heraus und auf die Tribünen zu. Sir Michael und Sir Oswald hatten bereits ihre Rüstungen angelegt und saßen an ihren jeweiligen Enden der Schranken im Sattel. Sir Oswald war immer noch mit der Auswahl seiner Tumierlanze beschäftigt.
Auf den Tribünen war der Platz neben dem Grafen immer noch frei. Jim ging an mehreren Reihen vorbei und fand Angie direkt neben Geronde. Jim verstreute Entschuldigungen nach links und rechts, weil er sich an den bereits in den unteren Reihen sitzenden Gästen vorbeizwängen mußte.
Endlich erreichte er sein Ziel und ließ sich auf dem Platz nieder, den sie für ihn frei gehalten hatten. Erst als er saß, wurde ihm bewußt, daß Angie neben Geronde gerückt war, so daß die beiden jetzt zusammen saßen. Geronde hielt immer noch einen Platz frei, der zweifellos für Brian bestimmt war, falls dieser sich zu ihnen gesellen wollte.
Auf der anderen Seite von Jim saß ein magerer, langnasiger Zuschauer von gut sechzig Jahren, der offensichtlich zu einer fünfköpfigen Gruppe gehörte.
»Ich wünsche Euch einen schönen Tag, Sir Drache«, sagte der Gentleman Jim ins Ohr, als das Getöse sich legte.
»Euch ebenfalls, Sir ...« Jim drehte sich zu ihm um.
Der ältere Mann schien die Tatsache, daß Jim seinen Namen vergessen hatte, mit Anstand hinzunehmen und wandte sich wieder dem Gespräch mit anderen Mitgliedern seiner Gruppe zu.
»Ich hatte dich gar nicht so früh hier erwartet«, bemerkte Jim zu Angie.
»Ich wollte auch nicht so früh kommen«, erwiderte Angie, »aber dann habe ich mich eines Besseren besonnen. Ich habe Vorkehrungen getroffen, daß man mir im Lauf des Vormittags eine Nachricht zukommen läßt, so daß ich früher gehen kann und nicht mehr zurückkehren muß. Es ist nicht gerade der wärmste Wintertag heute. Frierst du, Jim?«
»Ein bißchen«, gab Jim zu. »Aber nicht sehr.«
»Hier, James«, sagte Geronde. Sie griff an Angie vorbei und reichte ihm etwas, das wie ein Stoffbündel aussah. Er nahm es ohne nachzudenken entgegen und bemerkte dann, daß aus dem Bündel der Hals einer irdenen Flasche mit einem Korken herausragte.
»Vielen Dank, Geronde«, sagte er und gab ihr das Bündel samt Flasche zurück. »Aber ich möchte einen klaren Kopf behalten, und ich habe heute morgen schon genug Wein getrunken.«
Geronde schob ihm das Bündel abermals hin.
»Nehmt wenigstens einen kleinen Schluck davon«, sagte sie, »es wird Euch schmecken.«
Nach den Sitten jener Epoche wäre es unhöflich gewesen, auf einer Ablehnung zu bestehen. Er zog den Korken heraus, setzte die Flasche an die Lippen und nahm einen winzigen Schluck. Zu seinem Erstaunen war die Flüssigkeit nicht nur warm, sondern beinahe heiß. Es war gewürzter Glühwein, eine der wenigen mittelalterlichen Weinmischungen, die Jim schmeckte. Dankbar nahm er noch ein paar Schlucke.
»Ich sagte ja, daß Ihr es mögen würdet, James«, meinte Geronde, als Jim die irdene Flasche wieder verkorkte und sie ihr in dem Bündel zurückreichte. Geronde überprüfte, ob der Korken fest genug saß, und schüttelte dann das Bündel, offensichtlich um festzustellen, wieviel von der Flüssigkeit noch übrig war.
»Beatrice«, sagte sie - Beatrice war eine der beiden Dienstfrauen, die sie aus Burg Malvinne mitgebracht hatte -, »wird in ungefähr einer halben Stunde mit einer frischen Flasche zurück sein, daher ...«
Sie wurde von einem Trompetenstoß des gräflichen Herolds unterbrochen, der nun vor dem Platz des Grafen stand, aber alle auf den Tribünen versammelten Gäste gleichzeitig ansprach.
»Mit Eurer wohlwollenden Erlaubnis, Mylord, und der Erlaubnis Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen von England, der neben Euch sitzt, wird die nächste Tjost zwischen Sir Brian Neville-Smythe und Sir Amblys de Brug ausgetragen werden!«
Der Graf machte eine huldvolle Handbewegung, und der Herold wandte sich wieder den Schranken zu, bevor er sein langes Horn an die Lippen setzte. Er blies einen einzigen Ton, und zwei Gestalten in Rüstung kamen aus den großen runden Zelten an den gegenüberliegenden Enden der Schranken geritten.
Von den Tribünen klang ein aufmunterndes Brüllen. Brian war einer der Favoriten. Man erwartete Höchstleistungen von ihm.
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