Drachenritter 07 - Der Drache und der Wuzelkönig
strahlenden Sonnenlicht einen schwarzen Schatten – beschrieb einen Bogen durch die Luft. Es traf auf seine Brust und blieb dort einen Augenblick lang kleben, bevor es hinunterfiel. Es war ein halb verrotteter Fisch von fast dreißig Zentimetern Länge, und er hinterließ auf dem burgunderfarbenen, gezattelten Gewand des Grafen einen dunklen Fleck.
Immer noch zeigte Cumberland keine Regung und ritt mit gleichmäßiger Geschwindigkeit auf die Bäume zu, die sich nicht weit entfernt dicht an die Straße drängten. Aber die Menschenmenge hatte nun begonnen, ein einziges Wort zu rufen. Erst taten es nur einzelne, und schließlich riefen sie es alle gleichzeitig, immer wieder…
»Hexer! Hexer! Hexer!«
Die Stimmen übertönten das Hufgetrappel der Pferde, bis ein Mann auf einem schaumbedeckten Pferd, der in eine Livree in den Farben des Grafen gekleidet war, mit solcher Geschwindigkeit unter den Bäumen hervorgeritten kam, daß er sein Pferd stark zügeln mußte, woraufhin es in die Höhe stieg. Er hatte solche Eile, daß er beinahe den Hochadligen niedergeritten hätte.
Wortlos übergab er dem Grafen ein Stück gefalteten, braunen Pergaments, das mit einem schwarzen Band zusammengebunden war. Wortlos nahm der Graf es entgegen, riß das Band ab und entfaltete das Schreiben.
Mein Lord!
Lady Agatha Falon hat unter der Befragung ein Geständnis abgelegt. Nachdem sie auf Befehl des Königs festgesetzt worden war, gab sie zu, eine Hexe zu sein. Sie sagt, daß sie von Eurer Lordschaft zur Hexerei verführt wurde und daß Ihr schon länger ein Hexer seid, als sie Jahre gelebt hat. Sie beteuert, daß es Eure Absicht war, unseren König in Wahnsinn und Tod zu treiben, und daß Ihr dafür Ihre Hilfe verlangt und sie deswegen in die üblen Praktiken der Hexerei eingeführt habt, deren Anhänger ihr danach beide wart.
Einige der nördlichen Lords und andere haben in die Wahrheit ihres Geständnisses kein Vertrauen und sagen, daß es wahrscheinlich nur auf den Wünschen der Befrager und der Schärfe der Befragung beruht. Sie schlagen Euch vor, Euch nach Norden zu Euren eigenen Ländereien zu begeben und dort Freunde und Streitkräfte zusammenzurufen, um jedweder Armee entgegenzutreten, die jene am Hofe, die Euch übel wollen, erheben werden. Ein langes Leben und Glück für Eure Lordschaft und meine Gebete für Eure Sicherheit. Und denkt daran, daß ich Euch, trotz des hohen Risikos für mich, diese
Nachricht zukommen ließ.
Euer gehorsamer Diener
Edgar de Wiggin
Die Menschenmenge auf dem Marktplatz schwieg neugierig beim Anblick des Boten.
Der Graf las die Mitteilung, ohne eine Miene zu verziehen, faltete den Brief wieder und steckte ihn in sein Gewand.
»Wir gehen nach Norden«, teilte er über die Schulter seinen Begleitern mit, die hinter ihm auf den unruhig tänzelnden Pferden saßen.
Cumberland blickte nach vorn und setzte sein Pferd wieder in Bewegung. Die anderen folgten ihm. Im tiefen Schatten der Bäume, deren Kronen sich über dem Weg schlossen, waren sie nach der strahlenden Helligkeit auf dem Marktplatz einen Augenblick lang blind…
…Die gräulich-weißen Zeltwände standen offen, um Licht und Luft einzulassen. Draußen konnte man eine große Waldlichtung erkennen. Eine Reihe von Männern liefen auf der freien Fläche herum. Die meisten waren jüngere Ritter, Knappen und Bewaffnete. Einige sahen zum Zelt hinüber, während sie Pferde am Zügel hielten. Andere – die älteren – beobachteten den Wald. Im Zelt war ein Tisch aufgestellt worden, ein einfaches Holzbrett auf Böcken. Selbst hier und jetzt – so bestimmten es die Sitten des vierzehnten Jahrhunderts – war der Tisch mit einem Tischtuch bedeckt, weiß wie ein Hochzeitskleid, auch wenn es durch das Zusammenlegen für den Transport ein paar Falten bekommen hatte.
Auf dem Tisch standen Wein in Silberkrügen und einige Pokale.
Um den Tisch saßen der Graf und sechs Männer, die alle vornehm gekleidet waren. Es war hier oben an der schottischen Grenze ein kühler Tag, und der heftige Wind wehte jede Wärme fort, die von ihren Körpern erzeugt wurde.
Der Graf kannte die Gesichter der Männer. Er wußte, wie sie sprachen.
Eben jetzt hörte er ihnen nur zu, auf dem Gesicht wieder dieser bulldoggenartige Ausdruck, den er auch nach dem Lesen des Briefes gehabt hatte.
Ein hochgewachsener Mann im mittleren Alter, der einen rot eingefärbten Fellumhang trug, sprach in einem Bariton, der in den Tenorbereich kletterte, wenn er aufgeregt war. Da er
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