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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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dann nur weil der Wald aus freien Stücken beschlossen hatte, sie zu schonen.
    Professor Schlafen ging voraus und überstieg, ohne eine Miene zu verziehen, fast leichtfüßig die herumliegenden Felsbrocken, während seine polierten Schuhe, allen Steinen und der Erde zum Trotz, weiter glänzten und sein Stock kaum den Boden berührte. In regelmäßigen Abständen drehte er sich lächelnd zu Sofia um, rückte sich die Brille auf der Nase zurecht und ging weiter.
    Überall lagen Reste umgestürzter Bäume, die Erdrutschen oder heftigen Wolkenbrüchen zum Opfer gefallen waren. Selbst für die Pflanzen schien das Leben in diesem Wald nicht leicht zu sein.
    Auch der See sah nun anders aus. War das Ufer dort, wo sie ausgestiegen waren, noch recht flach gewesen, so reichten hier die steilen Hänge bis ans Wasser heran. Dieses blau schimmernde Wasser aber war so klar, dass es fast schon unecht wirkte, und darunter erkannte Sofia die Umrisse rötlicher Algen, die sich vom Grund des Sees, gierig nach Licht, in die Höhe reckten.
    Beklommen blickte das Mädchen sich um. Nichts zu machen, alles wirkte irgendwie unheimlich. Noch nicht einmal die Auskunft des Professors, der Papst persönlich habe sich an diesem See eine Residenz errichten lassen, um das herrliche Panorama zu genießen, konnte ihre Meinung ändern. Sie nickte nur, glaubte aber eigentlich nicht daran, dass überhaupt ein Mensch an solch einem düsteren Ort wohnen wollte.
    Nach der ersten Weggabelung zog sich der Pfad einen steilen Hang hinauf, immer noch unter hohen Bäumen, die mit ihren ausladenden Kronen einen natürlichen Tunnel bildeten.
    » Tut mir leid, dass du so lange laufen musst, Sofia«, sagte der Professor irgendwann, » aber wie du siehst, wäre es hier für ein Fahrzeug viel zu unwegsam. Allerdings würde ich offen gestanden ohnehin keines benutzen. Man muss der Natur Achtung erweisen, vor allem hier, wo sie so wunderschön ist.«
    » Ja, schon …«, keuchte Sofia. Mittlerweile ahnte sie, wo der Haken an dieser ganzen Geschichte war. Ihr neues Zuhause schien ein mindestens ebenso verlassener Ort wie das Waisenhaus zu sein, umgeben von einem Wald so düster wie im schaurigsten Märchen, und bewohnt von einem Mann, der wohl plante, sie als Dienstmagd zu benutzen. Ein Stöhnen entfuhr ihr.
    Sosehr sie sich auch bemühte, ihren Koffer zu schonen, schleifte er fast unablässig über den Boden und schlug immer wieder gegen die Felsen, die aus dem Weg aufragten. Und schließlich blieb sie mit dem Fuß irgendwo hängen, strauchelte und fiel der Länge nach hin. Der Professor war sofort zur Stelle, sprang flink wie eine Gämse herbei.
    » Es tut mir wirklich leid!«, sagte er mit betrübter Miene. » Aber ich hatte dir doch gesagt, du solltest mich deinen Koffer tragen lassen!«
    Er stellte seine Tasche ab, bückte sich, half ihr auf und beeilte sich dann, ihr mit der flachen Hand das trockene Laub vom Mantel zu klopfen.
    » Schon gut, schon gut … ich …«, versuchte sie, ihn zu bremsen, doch ohne Erfolg. Es war ihr unangenehm, und sie errötete, denn an körperliche Berührungen war sie nicht gewöhnt. So etwas hatte es im Waisenhaus kaum gegeben und die Hände dieses eigentlich völlig fremden Mannes auf ihrem Rücken stürzten sie in tiefe Verlegenheit. Zum Glück war es bald überstanden. Zufrieden mit seinem Werk, richtete sich der Professor wieder auf und rückte sich einmal mehr die Brille auf der Nase zurecht. Da schaute auch Sofia auf und der Anblick verschlug ihr die Sprache.
    Vor ihr lag ein Haus, das von hohen Bäumen umgeben war. Aber das Besondere war, dass mitten aus dem Dach ein Baum herauswuchs, der mit seinem Geäst einen Schatten auf das Gebäude warf. Links und rechts des Eingangs waren die Statuen zweier riesiger Drachen mit weit aufgerissenen Mäulern aufgestellt. Die Villa war im Stil des 19. Jahrhunderts erbaut, und Sofia meinte, auf irgendeinem Jahrmarkt schon einmal ein Geisterhaus genau dieser Art gesehen zu haben. Die Fassade war aus Holz, dessen graue Farbe hier und dort abgeplatzt war, und das Dach mit roten Tonziegeln gedeckt, während die Fenster mit grün lackierten, überwiegend verschlossenen Läden versehen waren. Im Übrigen schien es auch keinen Grund zu geben, die Fensterläden zu öffnen, weil nur wenig Licht das Haus umgab und wahrscheinlich selbst während der Mittagszeit nicht mehr Tageslicht durch das dichte Laub drang.
    Es war ein fantastisches Haus, wie aus einer anderen Zeit. Und doch war Sofia enttäuscht.

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