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Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis

Titel: Drachenschwester 01 - Thubans Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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wild durcheinanderzuwirbeln schienen. Im Hintergrund dieses Reigens erkannte Sofia eine herrliche Landschaft mit tiefgrünen Sträuchern und kraftstrotzenden Bäumen, durchzogen vom klaren Wasser zahlloser Bäche und umspült von den sanften Wellen eines ruhigen Meeres.
    Hingerissen und fasziniert von den lebensechten Figuren, bestaunte Sofia die herrlichen Wandmalereien, als sie plötzlich in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde. Denn ihr Blick fiel auf einen Spalt in der Wand, so breit, dass leicht zwei Personen hindurchschlüpfen konnten. Der Putz, der zu Boden gefallen war, sah wie eine Blutlache aus. Jemand hatte die Wand aufgebrochen und damit für immer die Harmonie zerstört, die das Gemälde ausgestrahlt hatte. Dort wo sich einmal ein Drache in die Lüfte erhoben hatte, klaffte jetzt ein schwarzes Loch wie eine Wunde auseinander. Sofia überkam unbändiger Zorn. Wer zu so etwas fähig war, wer sich derart an etwas Unantastbarem, ja Heiligem verging, würde vor nichts zurückschrecken, um an sein Ziel zu gelangen. Dies war zweifellos Nidhoggrs Werk.
    Lidja schien gleichermaßen betroffen, bemühte sich aber, Ruhe zu bewahren. Rastabans Mal auf ihrer Stirn strahlte noch stärker als zuvor. » Das können nur Nidhoggrs Leute gewesen sein«, erklärte sie mit fester Stimme, » irgendwo dort hinter der Wand müssen sie die Frucht vermuten. Verdammt, sie sind uns zuvorgekommen.«
    Sofia ballte die Fäuste. Offenbar war genau das eingetreten, was sie befürchtet hatte. Was nun?
    » Dann müssen wir eben kämpfen « , versuchte sie, sich Mut zu machen. Aber das war nicht leicht. Denn Thubans Geist war nicht mehr als ein schwaches Glimmen in der Finsternis ihrer Angst.
    Lidja schaute sie an, so als wolle sie in Sofias Miene die gleiche Entschlossenheit finden, die sie selbst antrieb. Es war bloß ein Blick, doch Sofia sagte er sehr viel und gab ihr neue Kraft. Denn plötzlich spürte sie ganz deutlich, dass die andere bei ihr war. Sie waren Verbündete, Gefährtinnen, Freundinnen. Von diesem Gefühl erfüllt, schaffte sie es, ihre Zweifel zum Schweigen zu bringen. Und so nickte sie nur und zwängte sich mit der Freundin durch den Spalt.

18
    Auf Leben und Tod

    Kaum waren die beiden Mädchen durch das Loch gestiegen, standen sie in einem langen, in den Fels eingelassenen Gang, der so niedrig war, dass sie nur gebückt hindurchpassten.
    Je weiter sie vordrangen, desto heller wurde das Licht vor ihnen. Es wirkte unheimlich, und um sich nicht abschrecken zu lassen, versuchte Sofia, sich ganz auf den Weg zu konzentrieren. Der Gang, den sie durchkrochen, schien sich auf natürliche Weise im Laufe der Jahrhunderte in den Fels gegraben zu haben, die Wände waren nass und schimmerten glitschig. Doch irgendetwas stimmte nicht, denn das Moos, mit dem sie bewachsen waren, ging nun mehr und mehr in Gras und sogar Blumen über. Bald war der gesamte Gang damit voll. Das war unmöglich. Sofia konnte es nicht fassen: Wie konnte hier unten, ohne Licht und ohne Erde, eine derart üppige farbenprächtige Vegetation entstanden sein, saftiges Grün, durchsetzt mit fleischigen, grellfarbigen Blüten, die von den Wänden herabhingen? Es war ein derart unsinniges Bild, dass Sofia ihre Nervosität kaum noch beherrschen konnte. Auch Lidja schien beunruhigt; Sofia hörte ihren schweren Atem, und das war kein gutes Zeichen. Es wurde immer enger in dem Gang, und die Beklemmung wuchs, doch als sie schon glaubten, bald festzustecken, öffnete er sich plötzlich wieder, und sie konnten sogar aufrecht gehen. Erleichtert atmeten sie auf und Sofia streckte sich und rieb sich die Schulter. Als dabei ihr Blick auf die Wunde fiel, stellte sie fest, dass sich ein rötlicher Kreis darum gebildet hatte. Sie erschrak und ihr Herz schlug noch schneller.
    Der Professor hatte recht gehabt. Sie waren noch von ihren Verletzungen gezeichnet. Denn auch Lidja massierte sich gedankenverloren das Bein, dort wo sie verwundet worden war.
    Schweigend marschierten sie weiter, umgeben vom süßen Duft der Alpenveilchen und Schlüsselblumen, bis sich der Raum ganz unvermutet zu einer Höhle weitete, die wie ein irdisches Paradies aussah. In der Mitte erhob sich ein riesengroßer Baum mit einer mächtigen Krone voller ausladender Äste und sattgrüner Blätter. Darum ragten duftende Margeriten aus dem hohen Gras. Ein herrlicher Ort, beschienen von einem zarten rötlichen Licht, das an das Strahlen von Rastabans Mal erinnerte. Voller Freude betrachtete Sofia diese prächtige

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