Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Marcus ziemlich wütend gemacht hatte. Er hatte bestimmt irgendwas zu verbergen, das spürte sie. Und dann erst dieser böse Blick, der einen Moment lang in seinen schönen Augen aufgeflackert war. Da war es ihr eiskalt über den Rücken gelaufen.
Wütend warf sie sich in ihrem Bett auf die andere Seite und vergrub ihr Gesicht im Kopfkissen. Diese dunklen Augen waren das Letzte, woran sie dachte, bevor sie endlich einschlief.
6
Der Nussbaum
»Bingo!«, rief Lidja gut gelaunt, während sie sich an den Frühstückstisch setzte. Wie gewöhnlich war sie am frühen Morgen schon putzmunter und sprang wie ein Zicklein herum, während Sofia ziemlich lange brauchte, um auf Touren zu kommen. An diesem Morgen aber war Lidja geradezu überschwänglich.
»Ist dir über Nacht eine Erleuchtung gekommen?«, fragte Sofia die Freundin, während sie noch müde einen Keks in die heiße Milch tunkte.
»So ungefähr. Jedenfalls habe ich etwas sehr Interessantes geträumt.«
Sofia horche sofort auf. Denn gestern hatten sie gerade über einen Traum gesprochen, und zwar diesen einen, den sie selbst geträumt hatte. Zunächst hatte sie es nicht für nötig gehalten, Lidja davon zu erzählen. Dann hatte sie sich aber überlegt, dass sich ihre besonderen Kräfte ihnen eigentlich immer über Träume und Visionen offenbart hatten. In ihrem Albtraum steckte also vielleicht ein Hinweis, der ihnen auf der Suche nach der Frucht weiterhelfen konnte.
»Ich lief eben diese Straße entlang, von der du auch geträumt hast«, erzählte Lidja.
Sofias Herz begann schneller zu schlagen. »Echt?«
»Ja, links und rechts Gebäude, die völlig gleich aussahen, sodass ich sie nicht auseinanderhalten konnte. Die Straße führte leicht bergauf, und das Pflaster war ganz merkwürdig … so, als liefe man über die Schuppen einer Schlange.«
»Ja, genauso war es in meinem Traum auch«, sagte Sofia, während sie plötzlich wieder die Angst und das Entsetzen spürte, die sie in der Nacht während des Albtraums gepackt hatten.
»Bei mir ist allerdings kein Nidhoggr aufgetaucht. Da stand aber ein Baum …«
»Der Weltenbaum.«
Lidja schüttelte den Kopf. »Nein, das war nicht der Weltenbaum.«
»Woher willst du das wissen? Wir haben ihn noch nie gesehen, weder in Wirklichkeit noch im Traum. Bloß eine Frucht von ihm kennen wir, Rastabans Frucht, und die haben wir gerettet. Aber das ist schon länger her.«
»Ich habe aber gespürt, dass es nicht der Weltenbaum war. Es war ein anderer Baum, der aber auch etwas Besonderes hatte. Der Weltenbaum war es nicht. Es war ein Nussbaum, ein Walnussbaum.«
»Und was war Besonderes an ihm?«
»Er stand genau in der Mitte der Straße, und ich konnte ihn schon von Weitem sehen. Seine Wurzeln reichten weit bis unter die Schuppen, und ich sah, wie sie immer tiefer in die Erde eindrangen und mit beängstigender Geschwindigkeit wuchsen. Während sie länger und länger wurden, platzten die Schuppen ab, und die nackte Erde kam zum Vorschein. Aber auch die Erde war besonders. Sie leuchtete. Es war, als hauche der Walnussbaum ihr Leben ein. Verstehst du?«
Sofia nickte. »Aber das ist völlig anders als in meinem Traum … Ich meine, meiner war ein Albtraum, und deiner … der hört sich eigentlich ganz schön an …« Sie mochte nicht länger darüber nachdenken, dass sie wieder diejenige war, die von entsetzlichen Albträumen geplagt wurde, während Lidja eher von schönen Dingen träumen durfte, von Bäumen, die neues Gras sprießen ließen, wo einmal ein Pflaster gewesen war.
»Aber es war doch dieselbe Stadt.«
Sofia schüttelte den Kopf. »Weißt du, wenn ich’s mir genauer überlege, glaube ich nicht, dass das irgendetwas zu bedeuten hat. Dazu ist das alles zu konfus. Man versteht doch gar nicht, was das für eine Stadt sein soll, die Gebäude sind so nichtssagend …«
»Aber mehr als diese Träume haben wir nicht in der Hand. Und wieso sollte das ein Zufall sein, dass sowohl dein Albtraum als auch mein schönerer Traum am selben Ort spielen«, hielt Lidja entschlossen dagegen. »Seit Monaten suchen wir vergeblich nach irgendwelchen Spuren, die uns zur Frucht führen könnten. Und monatelang hatten weder du noch ich irgendwelche Visionen. Und jetzt, so kurz hintereinander, sehen wir beide etwas, das bestimmt mit unserer Vergangenheit zu tun hat, und dass wir Drakonianerinnen sind. Der Sache müssen wir unbedingt nachgehen.«
Eine Weile saß Sofia nur da und rührte nachdenklich in ihrer Milch.
»Und? Hast du
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