Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
von seiner bloßen Gegenwart, das einem bei seinem Erscheinen unweigerlich überkam. Doch er bemühte sich, Haltung zu bewahren: Schließlich war er kein Weichei, sondern jemand, der vor niemandem Angst hatte.
In dem Nichts, das Ratatoskr und Fabio umgab, zeichneten sich zwei Augen ab, die glutrot funkelten. Dann tauchte langsam ein länglicher Kopf aus dem Dunkel auf, dann das Rot eines breiten, zu einem entsetzlichen Hohnlachen aufgerissenen Maules, und schließlich das Weiß langer spitzer, scharfer Reißzähne. Ganz zuletzt erschien das Geflecht schwarzer lederner Schuppen. Er schien etwas zu wittern, denn seine Nasenflügel bebten, und mit einem unheimlichen Zischen strömte die Luft hinaus.
»Herrlich … Ich kann sie fast riechen, die Finsternis, die mein Kommen verbreitet … Ich bin stärker geworden … und das Siegel wird schwächer …« Einige Augenblicke lang schwieg das Ungeheuer, riss dann die Augen auf und blickte Fabio an. »Nun, was gibt es? Wieso habt ihr meine Ruhe gestört?«
Ratatoskr ergriff das Wort. »Der Junge war es. Er bat mich, Euch zu rufen, Herr.«
»Das weiß ich«, antwortete Nidhoggr knapp und wandte sich dann an Fabio. »In dich habe ich großes Vertrauen gesetzt. Du bist der erste deiner Spezies, dem ich den freien Willen lasse. Denn ich weiß, dass du im Grunde deiner Seele zu mir gehörst, dass dein Herz für unsere Sache schlägt. Zeige mir nun, dass du diese Gunst verdient hast: Hast du mir das Fläschchen mitgebracht?«
Fabio schluckte. »Also, ich habe wirklich überall gesucht«, antwortete er. »An den Orten, von denen die Sagen berichten, und an denen, die Ihr mir genannt habt. Aber es ist nicht da.«
Er spürte, wie Nidhoggr vor unterdrücktem Zorn bebte, sah, wie der Zorn seinen Blick entflammte, bis schließlich sein ungeheurer Hass zum Ausbruch kam, ihn ergriff, seinen Körper durchfuhr und ihn zu Boden warf. Ihm war, als werde sein Geist zerfetzt, und ein verzweifelter Schrei entfuhr ihm.
Doch so plötzlich, wie der Anfall gekommen war, endete er auch wieder. Fabio war, als gleite er davon, der Finsternis, der Bewusstlosigkeit entgegen, doch allein mit der Kraft seines Geistes hielt Nidhoggr ihn zurück.
»Wenn ich dir einen Befehl erteile, hast du zu gehorchen. Blind zu gehorchen«, sprach er kalt.
Fabio bemühte sich, einen klaren Gedanken zu fassen. »Ich glaube aber, ich weiß, wo es ist«, erklärte er mit erstickter Stimme. Nidhoggr lockerte seinen Griff, während Fabio keuchend nach Luft rang. »In der Kirche«, fügte er dann hinzu und hob den Blick, um zu zeigen, dass er dem Druck dieser erbarmungslosen Augen standhalten konnte.
»Und warum ausgerechnet dort?«, schaltete sich Ratatoskr mit einem angedeuteten Lächeln ein.
»Weil sie diesen Ort nutzen«, antwortete Fabio, mit entschlossener, verächtlicher Stimme. Dann wandte er sich wieder Nidhoggr zu. »Ihr habt gesagt, dass Euch das Fläschchen geraubt wurde, dass die Priesterinnen es Euren Gefolgsleuten entwendet haben. Wenn das so ist, muss es an einem Ort versteckt sein, der eine besondere Bedeutung für sie hat. Und das ist bei der Kirche so. Jedenfalls wurde sie an einer Stelle errichtet, die einmal für sie wichtig war. Denn als ich vor einigen Tagen da war, spürte ich eine ganz merkwürdige Aura.«
Die Augen halb geschlossen, schwieg Nidhoggr, während sich zwei Spiralen aus grauem Rauch vor dem Schwarz, das sein Gesicht umgab, abzeichneten. »Die Zeit drängt«, sagte er schließlich. »Der kleinste Fehler von dir, jedes unnötige Zaudern könnte unsere Feinde der Frucht näher bringen.«
»Aber Herr, sie wissen doch noch nicht einmal, dass wir hier sind. Sie wissen nichts von den Dingen, die uns bekannt sind. Und außerdem ist Nida bereits der dritten Frucht auf der Spur«, bemerkte Ratatoskr.
»Na wenn schon! Das interessiert mich nicht!« Nidhoggrs wild dröhnende Stimme durchfuhr schmerzhaft die Köpfe seiner Diener. »Ich werde erst Frieden finden, wenn Thuban vollkommen vernichtet und der Weltenbaum unwiederbringlich verdorrt ist. Die erste Frucht haben wir bereits verloren: Bei weiteren Fehlschlägen ist es um euch geschehen!«
Fabio spürte erneut seinen Blick auf sich ruhen.
»Du kennst die Vereinbarung. Ich war sehr großzügig zu dir, aber dafür verlange ich auch sehr viel. Solltest du scheitern, hole ich mir zurück, was ich dir gab, und zuletzt nehme ich dir das Leben!«
Der Junge bemühte sich, seine Angst zu beherrschen und sich entschlossen zu zeigen. »Ich werde
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