Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
nicht scheitern, Herr.«
»Das hoffe ich«, zischte Nidhoggr.
Die Finsternis wich, das Antlitz des Herrschers der Lindwürmer erlosch, und Fabio und Ratatoskr waren wieder allein in der trostlosen Schlucht. Die Hände auf den nackten Fels gestützt, hockte Fabio am Boden und hörte wie Ratatoskr hinter ihm kicherte.
Da fletschte er die Zähne, sprang auf und packte den anderen am Kragen, während sich die metallenen Glieder an seiner Wirbelsäule aufstellten und seinen rechten Arm mit einer Hülle aus flüssigem Metall umgaben. Gleich darauf schoss aus seiner Faust eine scharfe Klinge hervor, die er dem Älteren mit einer blitzschnellen Bewegung an die Kehle setzte.
»Was lachst du so dreckig?«
Ratatoskr war ernst geworden. »Was soll das? Nimm die Klinge runter!«
Fabio antwortete nicht. Aber der andere wusste, was er zu tun hatte. Mit einer Hand packte er das Handgelenk des Jungen, gleichzeitig zuckte ein schwarzer Blitz auf. Fabio schrie vor Schmerz und löste sich von ihm.
»Wag es nicht noch einmal, mich zu bedrohen«, zischte Ratatoskr. »Ich lache, weil auch du vor ihm im Staub kriechst. Ich lache, weil auch du nicht mehr wert bist als die willenlosen Unterjochten, die es vor dir versucht haben.«
»Nein, ich bin anders. Ich bin stark«, erwiderte Fabio und starrte Ratatoskr wütend an.
Nidhoggrs Handlanger kam ganz nahe an ihn heran. »Dann beweis es! Bring unserem Herrn, was er verlangt!«
»Das werde ich auch. Da kannst du sicher sein. Und dann wird dir dein dämliches Lachen vergehen.«
»Wartens wir’s ab«, gab Ratatoskr mit einem gemeinen Grinsen zurück. Dann reckte er Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand hoch. »Zwei Tage gebe ich dir. Am Abend des zweiten Tages sehen wir uns wieder, hier an diesem Ort, und wenn du dann das Fläschchen nicht dabeihast, ist es um deine Kräfte geschehen, und um deinen ach so kostbaren freien Willen auch. Ich habe alles da, was dein Bewusstsein ausschalten und dich gefügig machen wird.«
»Das spar dir für jemand anders auf. Ich werde nicht scheitern.«
»Du nimmst den Mund ziemlich voll.« Ratatoskr erlaubte sich wieder ein spöttisches Lächeln, wandte sich dann um und entfernte sich mit den gleichen eleganten Bewegungen, mit denen er aufgetaucht war. »Zwei Tage. Länger nicht«, rief er noch über die Schultern zurück, dann verschluckte ihn die Dunkelheit.
Während Fabio sich fertig machte, um erneut in die Nacht aufzusteigen, wälzte Sofia sich ruhelos im Bett hin und her. Sie war zu aufgewühlt, um einzuschlafen, und je mehr Zeit verging, desto schärfer und schmerzhafter erinnerte sie sich daran, was am Abend passiert war. An die megapeinliche Figur, die sie vor dem Jungen an der Kasse abgegeben hatte, an seinen finsteren, verächtlichen Blick, als er endlich seine Eintrittskarte bekommen hatte.
Doch alle Erinnerungen, alle Gefühle verblassten, wenn sie an seine dunklen Augen und seine herrlichen Locken dachte. Dabei war Sofia ziemlich klar, was diese Besessenheit zu bedeuten hatte. Denn etwas ganz Ähnliches hatte sie schon einmal erlebt. Als sie noch im Waisenhaus wohnte, hatte sie ein Jahr lang jeden Morgen aufgeregt auf die Post gewartet. Die hatte ein wahnsinnig gut aussehender Junge gebracht, der einmal ein paar Worte mit ihr gewechselt und etwas Witziges zu ihr gesagt hatte. Von diesem Tag an musste Sofia ständig an ihn denken. Sie hatte sich nach ihm verzehrt und ihm, wenn sich die Gelegenheit ergab, schmachtend dabei zugesehen, wie er die Post verteilte. Sogar von einer gemeinsamen Zukunft mit ihm hatte sie geträumt, von einer Hochzeit in Weiß in einer kleinen romantischen Kirche auf dem Land, von einem schönen Haus und natürlich auch von Kindern. Doch dann hatte sie eines Tages gesehen, wie er leidenschaftlich irgendein Mädchen küsste, das sie nicht kannte, das aber, so kam es ihr zumindest vor, wunderschön war. Von da an hatte sie peinlich genau darauf geachtet, sich immer irgendwo anders herumzutreiben, wenn die Post kam, bis dann endlich der Briefträger ihres Herzens von einer für sie harmlosen Postbotin mittleren Alters, einer beleibten unfreundlichen Dame, abgelöst wurde.
›Es ist genau wie damals‹, sagte sie sich, und spürte dabei einen Stich im Herzen. Tatsächlich war es sogar noch schlimmer, weil das Gefühl stärker war, süßer, aber auch beängstigender als damals im Waisenhaus. Denn von diesem Jungen ging irgendetwas Unheimliches aus. Schon allein, dass er sich ins Zelt einschleichen wollte und
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