Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
gleich null. Wohin sie auch kamen, nirgendwo spürten sie irgendetwas Ungewöhnliches.
Abends im Zirkus waren sie von Tag zu Tag erschöpfter und niedergeschlagener.
»Wir sollten uns nichts vormachen. Dieser Baum kann überall stehen und nirgends«, sagte Lidja eines Abends.
»Aber Nidhoggr und seine Leute sind doch hier. Das heißt, sie meinen auch, dass die Frucht hier sein muss.«
»Die können sich ja auch irren.«
»Möglich«, räumte der Professor ein, »und doch glaube ich nicht daran. Es wäre einfach zu seltsam. Das würde ja bedeuten, dass wir uns alle geirrt haben. Und außerdem könnt ihr nicht leugnen: Alle Hinweise führen nun mal tatsächlich nach Benevent.«
Mit betrübter Miene rührte Sofia in ihrer Suppe. Nach all den Mühen standen sie immer noch am Ausgangspunkt und waren keinen Schritt weitergekommen. Und als wenn das noch nicht gereicht hätte, hatte sie selbst die Lage noch komplizierter gemacht, indem sie sich in Fabio verliebt hatte. Denn letztendlich hatte ihr die Aussprache mit Lidja nicht viel geholfen. Sie bekam diesen Jungen einfach nicht aus dem Kopf. Manchmal hatte sie sogar das Gefühl, sie könne ihn spüren, ganz in ihrer Nähe, so als habe er sich irgendwo im Schatten versteckt. Einige Male hatte sie sich sogar ganz grundlos umgedreht, während sie suchend am feuchten Ufer entlangstreifte. Weil sie ihn gespürt hatte. Aber das war absurd: Wäre er da gewesen, hätte er sie mit Sicherheit längst angegriffen.
Langsam beschlich sie sogar die Vermutung, es liege nur an ihr, dass sie nichts zuwege brachten. Vielleicht war sie durch ihre Fixierung auf Fabio zu abgelenkt, vielleicht hielten diese Gedanken sie davon ab, sich ganz auf die Suche zu konzentrieren. Oder vielleicht war es sogar so, dass sie unbewusst die Frucht gar nicht finden wollte, um sie ihm zu überlassen. Vielleicht hatte der Liebeswahn sie schon derart im Griff, dass er sie gegen ihren Willen dazu verleitete, ihre Mission zu verhindern.
An einem Abend erzählte sie Lidja von ihren Befürchtungen, doch die brach in Gelächter aus: »Ach Sof, du überraschst mich immer wieder. Du bist wirklich eine unerschöpfliche Quelle abwegigster Ängste.«
Sofia schmollte. »Deswegen musst du mich ja nicht gleich auslachen«, sagte sie leise.
»Schon gut.« Lidja wurde wieder ernst. »Sagen wir einfach, du hast Unsinn geredet. Du verhinderst überhaupt nichts und verhältst dich völlig okay. Leider ist es schwerer als erwartet, die Frucht zu finden. Aber ich glaube nicht, dass wir uns die Schuld daran geben können. Wie hat der Professor doch gesagt? Wir suchen eben eine Stecknadel im Heuhaufen.«
Der letzte Ort, der in Frage kam, war die Schlucht längs des Flusses Sabato, an der Straße, die von Benevent nach Avellino führte. Dichter Nieselregen ging nieder, als sie in ihrem Oldtimer dorthin unterwegs waren. Sie mussten langsam fahren, weil die Scheibenwischer sehr kurz waren und nicht gut funktionierten.
Schließlich ließen sie den Wagen stehen. Professor Schlafen stieg als Erster aus und spannte einen großen schwarzen Regenschirm auf, unter dem auch Lidja und Sofia sofort Schutz suchten.
Die beiden Mädchen hatten kaum einen Fuß auf die Erde gesetzt, da bemerkten sie es: Ein seltsamer Energiefluss setzte sich in ihren Körpern mit einem Schauder fort und ließ sie frösteln.
»Ich spüre was. Hier muss sich Nidhoggr schon mal aufgehalten haben«, rief Sofia.
Alle drei hielten den Atem an.
»Verdammt«, entfuhr es dem Professor, der sich aber sogleich wieder beherrschte und mit einem Seufzer erklärte: »Gut, es hilft ja nichts. Machen wir uns an die Arbeit. Behaltet ihr ruhig den Schirm.« Er ließ ihnen keine Zeit, etwas zu erwidern, und ging im strömenden Regen voran.
Sofia sah ihm einen Moment nach, wie er vorsichtig den schlammigen Pfad zum Fluss hinabstieg, und sagte dann zu Lidja: »Du spürst das doch auch, oder?«
Die nickte.
»Ich denke, hier kommen wir der Sache schon näher«, fügte sie noch hinzu, traute sich aber nicht das eigentlich Naheliegende auszusprechen. Wenn Nidhoggr hier gewesen war, musste es einen Grund dafür geben: Vielleicht hatte er die Frucht bereits in seinen Besitz gebracht.
So stiegen die beiden Mädchen hinter dem Professor den steilen Pfad zum Flussufer hinab. Sie konzentrierten sich wie schon in den letzten Tagen, wenn sie nach Spuren gesucht hatten, wobei sie immer wieder einen Blick auf ihre Amulette warfen.
»Schau mal, das ist doch seltsam«, sagte Sofia
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