Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
Schneetreiben verschluckte jeden Laut. Die Nase an der eiskalten Fensterscheibe, blickte Sofia hinaus und dachte, dass sich vielleicht auch Nidhoggr von diesem Zauber fesseln ließ und nicht auftauchen würde. Und Fabio ebenso wenig … Der Gedanke allein versetzte ihr einen Stich ins Herz.
Sie gelangten zum Vorplatz einer kleinen Kirche, die von Ruinen umgeben war. Das Tor war verschlossen. Dahinter lag das römische Amphitheater.
Der Professor drehte sich zu Sofia um. »Du weißt, auch wenn ich Hüter bin, bist du für mich sehr viel mehr als nur eine Drakonianerin«, begann er. »Du bist meine Tochter. Deshalb bitte ich dich: Sei nicht leichtsinnig und lass dich zu nichts hinreißen.«
»Keine Sorge, ich passe schon auf. Ich verspreche es dir.«
»Gut, ich warte hier auf dich. Und nun geh.«
Sofia stieg aus. Das Geräusch, als hinter ihr die Wagentür zuschlug, schien für einen kurzen Moment den tiefen Frieden dieses Ortes zu stören. Der Schnee hatte mittlerweile den Asphalt mit einer dünnen Schicht Puderzucker bestreut.
›Er bleibt tatsächlich liegen‹, dachte Sofia. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie durfte sich nicht ablenken lassen. Jetzt war nur noch eins wichtig: ihre Mission. Sie legte eine Hand auf die Brust. Sie trug wieder den Brustpanzer, wie damals, als sie gegen Nidafjoll in der Villa Mondragone gekämpft hatte. Da hatte er sie tatsächlich hervorragend geschützt und verhindert, dass die Feindin sie verletzte. Sie hoffte, dass er auch dieses Mal so gut funktionieren würde. Doch noch mehr hoffte sie, dass es gar nicht zum Kampf käme.
Einen Moment lang konzentrierte sie sich, und schon weiteten sich ihre Schultern und die Flügel sprossen hervor. Das Mal auf ihrer Stirn funkelte, und mit einem einzigen Flügelschlag in der kalten Luft überwand sie das Tor.
Früher hatte Sofia bei Dunkelheit Ruinen furchtbar unheimlich gefunden. An einem Abend hatten sie einmal das Forum Romanum in Rom besichtigt und sich dabei vorgestellt, wie zwischen den verfallenen Mauern die Geister der Leute umherschwirrten, die vor langer Zeit in den Häusern gelebt hatten. Auch von dem Waisenhaus, so hatte sie sich überlegt, würden eines Tages nur noch Ruinen übrig sein, und sie selbst wäre dann nichts weiter als ein trauriges Gespenst, das zwischen Scharen unachtsamer Touristen darin hauste.
Heute hatte sie keine Angst mehr vor der Dunkelheit, denn sie hatte am eigenen Leib erfahren, dass es viel schlimmere Dinge gab.
Sie atmete tief durch und ging los. Das Echo ihrer Schritte klang seltsam, während die Sohlen ihrer Winterschuhe klare Abdrücke in die dünne Schneeschicht stanzten.
Sie war noch nicht weit gekommen, da hörte sie plötzlich ein bekanntes Geräusch und fuhr herum: Es war das Getrappel von Holzschuhen. ›Das muss die Alte sein‹, dachte sie.
Tatsächlich, da stand sie. Nur ein paar Meter entfernt zeichnete sich ihre schwarze Gestalt im Schneetreiben ab.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie.
Ihr schien die Kälte nichts auszumachen, und ihr Atem bildete auch keine Wölkchen vor ihrem Mund. Diese Beobachtung ließ Sofia einen Moment lang erstarren und versetzte sie in Alarmbereitschaft. ›Sie ist kein menschliches Wesen‹, dachte die Drachenschwester. Aber das hätte ihr eigentlich auch schon früher klar werden müssen. So wie sie sich bewegte und dadurch, dass sie immer ganz plötzlich auftauchte und auch wieder verschwand … Aber wenn sie keine Lebende war, wer war sie dann? Oder besser, was war sie? Und vor allem, was wollte sie von ihr?
»Wer bist du?«, rief Sofia.
»Weißt du das wirklich nicht?«, antwortete die Alte mit einem Lächeln. »Ich bin ein Mensch, der diese Welt schon vor langer, langer Zeit hätte verlassen müssen. Aber ich bin geblieben und treibe mich in dieser Stadt herum. Weil ich gewartet habe. Auf dich gewartet habe.«
Sofia riss ungläubig die Augen auf. »Du hast auf mich gewartet?«
Die Alte nickte. »Ja, seit mehr als tausend Jahren.«
»Und weißt du auch, wonach ich suche?«
»Nach einem Schlüssel. Nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich wusste, dass eines Tages jemand kommen würde. Aber als ich dich fand, war ich nicht sicher, ob du wirklich diese Person bist. Und ich konnte dir auch nicht helfen, solange du diesen Ort hier nicht gefunden hattest. Komm mit.«
Sie streckte eine Hand aus. Sofia zögerte einen Moment, ergriff sie dann aber. Bis auf die kalte Haut fühlte sie sich wie die eines lebendigen Menschen an.
Die Alte führte sie durch die
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