Drachenseele (German Edition)
raubte. „Nein“, hörte er sich flüstern. „Nein.“ Seine Brust war wie zubetoniert. Er sah sich auf einem Metalltisch in der Pathologie liegen. Dr. Schneider krempelte die Ärmel hoch, dann setzte er die Säge an Marcus’ rasierten Schädel. Diese Wahnvorstellungen gehörten zu einer Krankheit, die ihn in den Tod führte. Nein. So wollte er nicht sterben, nicht in dieser sterilen Einsamkeit, umgeben von in Plastik gehüllten Menschen.
„Bitte Clara.“ Seine Stimme zitterte. Er nahm ihre Hände, die sich durch die Gummihandschuhe fremd anfühlten. „Versprich mir, dass sie mich nicht auseinandernehmen dürfen, wenn ich tot bin.“
„Ich verspreche es dir.“ Sie versuchte ihn in den Arm zu nehmen. Das Plastik erwies sich als sehr hinderlich dabei. „Ich habe Angst davor, als Versuchsperson ...“
Clara betätigte den Schwesternruf.
Marcus bemerkte wie sein ganzer Körper zitterte. „Was hast du vor?“
„Merkst du denn nicht, wie die Symptome schlimmer werden? Gott, wenn ich doch nur was für dich tun könnte.“ Clara strich ihm über die Wange. Sehr tröstlich durch das Gummi dazwischen fühlte sich das jedoch nicht an. Sollten seine intensiven Gefühle nur Einbildung sein? Marcus sah, wie sich die Tür öf f nete und eine Schwester hereinkam. Sie trug lediglich einen Einmalkittel, Gummihandschuhe und einen Mundschutz. Ein humaner Anblick, der hoffen ließ.
„Gleich wird es Ihnen besser gehen, Herr Sonntag.“ Sie piekste mit einer Spritze die Infusionsflasche an. Sein Herzschlag verdoppelte sich. Man versuchte ihn ruhig zu stellen! Bevor die Schwester das Medikament in die Infusion spritzen konnte, schoss Marcus in die Höhe und schlug ihr die Spritze aus der Hand.
„Verdammt, ich will keine Psychopharmaka!“
„Ganz ruhig, Marcus.“ Clara starrte ihn an. „Wir wollen dir helfen.“
Die Schwester wich vor ihm zurück, warf einen hilfesuchenden Blick zum Schaufenster. Aus dem Augenwinkel erfasste Marcus zwei Personen, die am Fenster vorbei eilten.
„Ich liebe dich, so wie man einen Sohn liebt. Bitte lass dir helfen.“ Clara streckte ihm eine Hand entgegen. Für Marcus ging es in diesem Moment ums nackte Überleben. Würde man erst mal anfangen ihn mit Medikamenten zu behandeln, könnte er sich gar nicht mehr zur Wehr setzten. „Keine Psychopharmaka, in Ordnung?“ Einsicht brachte ihn jetzt bestimmt weiter. Zwei Krankenpfleger in Schutzanzügen eilten zur Tür herein, auf Marcus zu.
„Entschuldigung, kommt nicht wieder vor.“ Er hob die Hände.
Die Pfleger packten Marcus unbeeindruckt an den Armen und schubsten ihn auf das Bett. Seine Arme und Schultern wurden fest auf die Unterlage gepresst. Die Schwester musste die Spritze vom Boden aufgehoben haben, denn nun stach sie die Nadel in den Infusionsschlauch, dicht über der Kanüle, die in Marcus’ Arm steckte. In diesem Atemzug überkam Marcus die Gewissheit, Opfer einer medizinischen Intrige geworden zu sein. Wahnvorstellung, so ein Quatsch! Er wollte keine Medikamente. Mit all seiner Kraft bäumte er sich auf. Er zog seine Schulterblätter zusammen, hob sein Gesäß in die Luft, doch es half alles nichts. In seiner Hilflosigkeit strampelte er wild mit den Beinen, warf seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Er spürte ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Marcus hörte sich hecheln, genau wie nach einem Fünftausendmeterlauf. Seine Gliedmaßen wurden so schwer, dass er nicht mehr in der Lage war, sie zu bewegen.
„Dr. Schneider hatte einen solchen Ausbruch schon befürchtet“, nahm Marcus die Stimme des Pflegers wahr, dabei klang es unendlich weit weg. „Herr Sonntag wird jetzt mit hochpotenten Neuroleptika eingestellt.“
Marcus fühlte sich seltsam. Seine Augen starrten an die Decke, ohne wirklich etwas zu sehen. Sein Mund stand ein Stück offen. Speichel sammelte sich. Nicht mal das Schlucken gelang ihm. Er spürte, wie er ihm aus dem Mund lief. Jemand wischte es weg. War es Clara? Seine Lippen trockneten aus und seine Augen begannen zu schmerzen. Müdigkeit legte sich auf seine Gedanken.
„Marcus, hörst du mich?“ Claras Stimme, wie gut sie zu hören. Vergeblich bemühte er sich um eine Antwort. Seine Lippen ließen sich nicht bewegen.
„Ich fürchte, Frau Peterson, sein Tumor ist weiter gewachsen. Aber reden Sie mit ihm. Er wird Sie schon irgendwie wahrnehmen.“ Marcus war nach einem Schrei der Verzweiflung zumute. Diese Medikamente beherrschten seinen Körper und diesen Quacksalber von Arzt fiel nichts
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