Drachenseele (German Edition)
Augenlid zu erreichen.
Nicole schien sich gefasst zu haben, denn sie ergriff sein Handgelenk. „Komm mit rüber. Ich versorge das.“
Als angehende Tierärztin verfügte Nicole über ein breites Sortiment an Verbandsmaterial und Wundsalben. Während sie sorgfältig die größeren Schnittwunden versorgte, erzählte Marcus von seinem ersten Krankenhausbesuch, von seiner Entscheidung keine Therapie durchführen zu lassen. Einzelheiten, sowie seinen Verdacht gegen Dr. Schneider ließ er weg. Nicole hörte zu, sah hin und wieder in sein Gesicht, sagte aber nichts. Erst als sie am Handtuch ankam und es runter ziehen wollte, hielt Marcus ihre Hände fest.
„Sei nicht albern, ich habe einen Bruder. Es sieht nicht danach aus, als würden die Glassplitter einen Teil deines Körpers ausgelassen haben.“ Sie lächelte kurz. Marcus genierte sich. In ihren Händen könnte etwas passieren, was er nicht mehr zu kontrollieren vermochte.
„Ich werde vorsichtig sein, versprochen. Es muss dir wirklich nicht unangenehm sein, egal was passiert.“ Ihre Augen erschienen Marcus in diesem Augenblick so warm und herzlich. Auch bildeten sich diese Grübchen in ihren Mundwinkeln, dass er ihr unmöglich widersprechen konnte. „Runter mit dem Handtuch!“
Marcus ließ sie gewähren. Sie breitete das Handtuch auseinander. Dann grinste sie. „Dachte ich’s mir doch. Der Schnitt an der Leiste ist nicht lang, aber tief.“ Danach nahm sie sich sein Glied vor. Sehr vorsichtig verarztete sie die Verletzung nahe bei der Eichel. Ein merkwürdiges Gefühl war das. Einerseits das Brennen des Desinfektionsmittels, anderseits regten sich hu n derttausend Nervenenden in seinem Körper.
„Und du hast wirklich keine Ahnung, wie das passiert ist? Ich meine, wie bist du mit dem Einbrecher fertig geworden?!“ Nicole sah ihm kurz ins Gesicht. Marcus schüttelte den Kopf. Die Idee mit einem Einbrecher war ihm noch gar nicht gekommen.
Sie hielt inne. „Hörst du das?“ Sie legte die Tupfer zur Seite und ging zur Tür. So leise wie nur möglich öffnete sie die Wohnungstür, spähte durch den Türspalt, um den Eingang ohne ein Geräusch wieder zu schließen.
„Da versucht gerade ein Typ in deine Wohnung einzubrechen.“ Nicole flüsterte. Vermutlich suchte man nach ihm. Dr. Schneider zeigte sich hartnäckiger als befürchtet.
„Ich werde den Kerl einschließen, dann rufe ich die Polizei!“ Sie nahm das Telefon in die Hand.
„Besser nicht!“ Marcus bemühte sich seine Gedanken zu sortieren. „Ich habe keine Erinnerung, unter welchen Umständen ich in meine Wohnung zurückkehrte. Jedenfalls sieht es für mich danach aus, als sei ich von der Straße in den ersten Stock durchs Fenster gesprungen und das möchte ich ungern der P o lizei erklären. Dieses ganze Psychopharmaka zermatscht e i nem wirklich die Birne. Ich weiß nicht, was in den letzten Tagen vorgefallen ist.“ Nicole schaute ihn wieder so an, als würde sie in seinem Gesicht etwas suchen. „Clara meinte, du hättest Wahnvorstellungen ausgelöst durch den Tumor.“ Sie schüttelte dreimal den Kopf. „Vielleicht solltest du mir deine angeblichen Wahnvorstellungen mal erzählen.“
„Wie meinst du das?“ Ihre Aufforderung erweckte den Eindruck, als könne er Nicole für seinen Verdacht gewinnen. En d lich jemand, der ihm Glauben schenkte.
„Für einen Todgeweihten finde ich dich reichlich fit.“ Diese Worte fühlten sich für Marcus nach einem Segen an. Nicole stand also auf seiner Seite.
„Der Typ nebenan in deiner Wohnung. Was will er?“ Sie nahm den Fotoapparat aus dem Schrank und drückte ihn Marcus in die Hand. Nicole nahm ihre Handtasche. Du machst ein Foto von ihm und ich werde versuchen herauszufinden, wer der Kerl ist.“ Sie griff nach den Wohnungsschlüsseln. „Damit du dich anziehen kannst, wenn er weg ist. Clara meinte, ich solle ab und zu nach dem Rechten sehen.“ Sie hielt ihm seinen Schlüssel entgegen.
„Das halte ich für keine gute Idee, dem Typ zu folgen.“ Dankbar nahm er den Schlüssel an sich. „Er könnte gefährlich sein. Vermutlich besitzt er eine Waffe.“
„Ich will ihn ja nicht überführen.“ Sie grinste triumphierend, als würde ihr der Plan besonders gut gefallen.
Vom Küchenfenster aus beobachte Marcus, wie Nicole unten auf dem Gehweg wartete. Ihm missfiel die Vorstellung, dass sie sich für ihn vielleicht in Gefahr brachte. Andererseits blieb ihm in diesem Augenblick nichts anderes übrig. Keine zehn Minuten vergingen, bis
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