Drachenseele (German Edition)
zugenagelt worden. Nur spärlich durch kleine Ritzen fiel etwas Abendlicht auf den dreckigen Boden. Den Flur links herunter, in einem türlosen Raum entdeckte Marcus einen sac h ten Lichtschein, der aus dem Fußboden zu kommen schien. Eilig huschte Marcus in einen Nebenraum, linste von dort aus vorsichtig um die Ecke. Das Licht kam aus einer offenstehe n den Kellerluke.
Nicole!
Hielt Albert sie etwa da unten gefangen? Kaum hatte Marcus diesen Gedanken beendet, hörte er eine zitternde Stimme, die ihm sehr vertraut war.
„Bitte, lass mich gehen.“ Sie musste furchtbare Angst haben. Nicole schluchzte auf.
Marcus schluckte, sein Magen schmerzte und eine innere Kälte stieg in ihm auf. Er kämpfte gegen das Bedürfnis an, sich augenblicklich auf Albert zu stürzen. Würde er jetzt unüberlegt handeln, könnte das für Nicole böse enden. Ihm selbst blieben nur seine Fäuste, sowie ein kleines Taschenmesser. Wie harmlos Albert doch an der Wohnungstür auf ihn gewirkt hatte. Dabei durfte gerade er, als Drache, sich nicht von äußeren Erscheinungen täuschen lassen. Dieses abgelegene Versteck sollte jedenfalls nicht Ma r cus’ Grab werden.
Nicoles Weinen klang plötzlich dumpf, als habe Albert ihr den Mund zugeklebt. Dieses Scheusal! Marcus Körper zitterte. Er konnte ihr Wimmern keinen Atemzug länger tatenlos ertragen. Seine Wut stand kurz vor dem Überkochen. Marcus spürte Hitze in seinem Gesicht. Jeder weitere vernünftige Gedanke fiel ihm unter diesen Umständen sehr schwer.
Wie er erneut den Flur herunter linste, sah er Albert, wie dieser die Kellerluke zufallen ließ. Dann knipste er seine Tasche n lampe aus.
Hastig wich Marcus zurück, schob dabei seinen Körper an der Wand entlang weiter ins Zimmer, damit Albert ihn nicht entdeckte. Wenn er Nicole hier versteckt hielt, brauchte Marcus nur zu warten, bis der Kerl die Ruine verließ.
Kleine Steinchen auf dem Boden knirschten unter Alberts Schuhen, während er sich durch den Spalt ins Freie zwängte.
Marcus wartete einen Moment, dann schlich er über den Flur zum türlosen Raum. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Der Eisenring der Luke fühlte sich kalt an. Sand rieselte nach unten als Marcus die Luke öffnete. Bedrückende Finsternis herrschte hier. Er holte sein Feuerzeug heraus, um sich zu orientieren. Eine kleine Holzleiter führte in die Tiefe. Nur wenige Schritte von der Leiter entfernt, kauerte Nicole im Sand. Ihre Hände lagen auf dem Rücken. Ihr Mund war zugeklebt, sogar über ihren Augen lag ein dunkles Tuch. Sie begann wieder zu weinen und schnaufte ängstlich durch die Nase. Der Anblick versetzte Marcus einen heftigen Stich ins Herz. Er steckte sein Feuerzeug ein, tastete nach der Augenbinde, um sie davon zu befreien.
„Hab keine Angst. Gleich bist du frei.“ Er fühlte nach dem Klebeband über dem Mund, um es mit einem Ruck herunterzureißen. Marcus hörte einen lauten Herzschlag. In dieser Situat i on konnte er nicht bestimmen, ob es sein eigener oder der von Nicole war. Mit dem Feuerzeug als Lichtquelle und seinem T a schenmesser befreite er Nicole von dem rauen Strick.
Sie stöhnte auf, als sie ihre Hände nach vorn nahm.
„Komm, beeilen wir uns.“ Marcus half ihr auf die Beine.
„Ich kann nicht“, jammerte sie.
Marcus kletterte die Leiter hinauf, um oben die Lage zu überblicken. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Er wandte sich um, zu Nicole, die sich an der Leiter festhielt.
„Gib mir deine Hand!“ Marcus ergriff sie am Handgelenk und zog sie zu sich hoch. Ihre Haut fühlte sich kalt und staubig an.
Was musste sie nur hinter sich haben, vor allem, wie sah es jetzt in ihrem Inneren aus? Er hätte nicht einfach nach England gehen dürfen. Marcus nahm sie bei der Hand und führte sie den Flur entlang. Gegenüber dem Eingang lag ein großes Zimmer, dort drängte er Nicole an die Wand. Für den Fall, dass Albert zurückkam, brauchte er einen Ausweg. Solange Nicole bei ihm war, wollte Marcus ein Zusammentreffen mit Albert natürlich vermeiden. Aber der Kerl sollte ihn wegen der Entführung noch kennen lernen!
Nicole stand zitternd an der Wand. Jeder Lichtstrahl schien ihr zu viel zu sein. Sie blinzelte müde. Marcus schmerzte es sehr, sie so leidend zu erleben. Tröstend nahm er sie in den Arm, doch Nicole wand sich aus der Umarmung.
„Bitte nicht!“ Ihre Stimme vibrierte, als habe sie schreckliche Angst.
„Entschuldige.“ Marcus wurde es durch die Reaktion bewusst, wie traumatisiert sie
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