Drachenseele (German Edition)
an. Die Höhle bestand aus Felsen, auch der Boden. Diesen Sandberg hatte jemand aufgeschüttet. Jemand der ihn hier eingesperrt und seinen Flügel festgebunden hatte. Es musste einen Zugang geben oder konnten Drachen durch Wände g e hen? Dieses Gefühl eingeschlossen, ja gefangen zu sein, erhö h te seinen ohnehin schon rasenden Herzschlag.
„Hoh! Ganz ruhig“, hörte er hinter sich eine männliche Stimme. „Damit diese wunderbare Wunde zuheilt, habe ich Euren Flügel ruhigstellen müssen.“
Die Aussage klang, als würde er von einer außerordentlichen Schönheit erzählen. Ein kleiner Mann mit Buckel tauchte in Narvalvars Blickfeld auf. Er leuchtete mit einer Taschenlampe auf den Boden. Als er vor ihm stand, nahm er seinen Kopf in den Nacken, um Narvalvar anzuschauen. Das faltige runde Gesicht erzählte von einem langen Leben.
„Eure herrliche Wunde bereitet mir große Freude“, seine trüben Augen glänzten. „Auch wenn ich weiß, wie empfindsam Ihr Drachen unter Eurer schuppigen Haut seid.“ Er fasste sich an die Stirn und verbeugte sich im nächsten Augenblick. „Oh ve r zeiht mir, werter Drache! Mein Name ist Richard, zuständig für den Gesundheitszustand der Verletzten Eurer Art. Ihr gestattet mir mich zu setzten?“ Er schaute demonstrativ auf einen Fe l sen, der einladend wie ein Hocker ein paar Schritte neben ihm aus dem Boden ragte. Narvalvar nickte, leicht schmerzte dabei sein Nacken.
„Ich danke Euch.“ Sich setzend, hielt er die Taschenlampe auf den felsigen Untergrund gerichtet. „Die Drachenwächter nehmen ihre Aufgabe in den letzten Jahren derart ernst, dass sich für mich kaum eine Gelegenheit bietet, mein Können zu beweisen.“ Er hob einen Arm auf Schulterhöhe, „Eure fantastische Verletzung ist bei mir in den allerbesten Händen.“
Narvalvar fragte sich, was dieser Typ darstellte? Ein gelangweilter Drachendoktor vielleicht, der sich nach Blut und Übe r lebenskampf sehnte? Abartig!
„Mister Stones bat mich, Euch in meine Obhut zu nehmen.“ Er drehte sich um und wies mit der Lampe auf eine Ecke der Höhle. Das Licht traf auf etwas Glitzerndes. „Zum Befeuchten Eurer Drachenhaut findet Ihr dort einen Zugang zum Meer, allerdings“, er wandte sich Narvalvar zu, „solltet Ihr den Flügel noch ein paar Tage schonen.“
Was er für eine Pfütze gehalten hatte, war also der Weg zum Meer. Das Bedürfnis zu schwimmen, nach Nahrung zu suchen wuchs augenblicklich zu einem unersättlichen Verlangen. Ohne nachzudenken ging er auf das Wasserloch zu.
„Oh, ich bitte Euch!“ Richard eilte ihm vor die Füße, „nur ein kurzes Bad! Keinen Ausflug nach draußen!“
Narvalvar schloss die Augen und blies seinen Atem aus, er fühlte sich heiß an.
„Ja, ja, ich sehe schon, meine Ratschläge gehen Euch auf die Nerven, dabei meine ich es nur gut mit Euch.“
Er senkte den Kopf, um Richard in die Augen zu schauen.
„Mit einem Flügel seid Ihr im Wasser zu ungeschickt. Ihr würdet ohnehin nur im Kreis schwimmen.“
Und wenn schon. Narvalvar verspürte Hunger, großen Hunger sogar. Er hatte das Meer mit seinen köstlichen Fischen sehr vermisst, zumal es ihm zu albern erschien seinen Flügel festg e bunden zu lassen. Narvalvar breitete seinen rechten Flügel aus, um mit der Mittelkralle das Tuch zu durchtrennen.
„Wartet!“ Richard zog ein Handy aus der Tasche und hielt es ihm entgegen. „Mister Stones verfolgt seine eigenen Methoden, denn er hält Euch für ein besonders starrsinniges Exemplar.“ Er musterte Narvalvars Gesicht, vermutlich um sich von seiner Aufmerksamkeit zu überzeugen. „Eure Wunde versorgen zu dürfen, mag für mich eine ersehnte Aufgabe sein, was aber nicht bedeutet, dass Ihr Eure Behandlung unnötig in die Länge ziehen müsst.“ Er senkte den Arm, in dem er das Handy hielt. „Es bedarf nur eines Knopfdruckes, um einen mächtigen Stromstoß durch Eurer Halsband zu jagen. Angenehm dürfte das für Euch nicht sein.“
Sein Halsband! Fast hätte er es vergessen. Stones! Dieser hinterhältige Kerl. In diesem Moment verfluchte er die Menschen, das Vertrauen, welches er in sie hatte.
Nicole! Warum war er nicht bei ihr geblieben? So lange er sie kannte, stand sie ihm zur Seite.
Nicole! Sie hatte ihn in seiner Drachengestalt gesehen, ihn so akzeptiert, ja, sie hatte sein Leben gerettet. Nicht ein einziges Wort des Dankes hatte er zu ihr gesagt. Ein innerer Schmerz breitete sich in seinem Drachenherz aus.
Nicole! Sie war so weit weg, dabei wäre ihre
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