Drachenseele (German Edition)
Arm sich anzuziehen, erwies sich als schwierig. Bestimmt eine halbe Stunde benötigte er, bis er komplett angekleidet war. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Elend und müde fühlte er sich, um sich wieder ins Bett zu kuscheln, hätte er wirklich viel gegeben. Andererseits war er bis hierher gekommen, weiter als er nach Nicoles Befreiung zu hoffen gewagt hatte. Undenkbar jetzt aufzugeben.
Er legte sich zwei zusammengelegte Küchenhandtücher auf die Schulter, dann nahm er seine Tasche, um die Wohnung und das Haus zu verlassen.
Beschwerlich
U nterwegs auf dem Fußweg zur Bahn bemerkte Marcus seine zittrigen Knie ebenso wie den leichten Schwindel. Nachher im Flugzeug konnte er sich ausruhen, jetzt durfte er nicht tr ö deln, sonst verpasste er am Ende noch seinen Flug.
Wenn er nur halb so elend aussah wie er sich fühlte, musste er geisterhaft auf andere wirken. Es verwunderte ihn deshalb nicht, wie die vorbeilaufenden Passanten ihn anstarrten. Endlich lag der Bahnhof in Sichtweite. Eine Autohupe in seiner Nähe ließ ihn zusammenzucken. Er ärgerte sich über seine Schreckhaftigkeit und ging umso schneller weiter.
„Marcus?“, hörte er Nicole hinter sich rufen. Er durfte sich nicht umdrehen, sie in ihrer Hoffnung bestärken, denn für einen Wortwechsel war keine Zeit.
„Marcus! So warte doch!“
Nein! Er brachte es nicht übers Herz sie zu ignorieren, also blieb er stehen. Kleine Lichtfunken erschienen vor seinen Augen, verschwanden zum Glück aber schnell. Sein Puls raste. Nicole berührte von hinten seinen rechten Arm, dann ging sie um ihn herum. Ihre Augen wurden immer größer, während sie ihm ins Gesicht sah. „Mein Gott, was tust du hier?“ Sie ergriff seine rechte Hand und zog ihn zur Seite. Am Straßenrand hielt der Wagen von Sven. Marcus konnte durch das spiegelnde Licht der Sonne in der Frontscheibe keinen Fahrer am Steuer erkennen.
„Ich danke dir.“ Er schluckte, versuchte seinem Schwindel, seiner aufkommenden Übelkeit entgegenzuwirken. „Mir läuft die Zeit davon. Ich muss zurück.“
„Zurück? Ich sehe dir doch an, wie schlecht es dir geht, deine glasigen Augen, deine blasse Gesichtsfarbe. Lass mich dir helfen.“
Er riss sich von ihrem Griff los, das kostete Kraft, dabei weniger körperliche. „Nicole!“ Nein! Die Zeit drängte ihn, er musste sich kurz fassen. Er holte Luft. „Tut mir Leid. Ich muss gehen.“
In ihrem Gesicht erschien Entsetzen, vielleicht sogar Wut, doch so schwer es ihm fiel, er durfte sich nicht auf ein Gespräch einlassen. Während er die Treppen zum Bahnhof hoch stieg, keimten Zweifel auf. Sie hatte ihm das Leben gerettet und er stieß sie vor den Kopf. Wie undankbar er auf sie wirken musste. Die bedrückende Enge um seinen Hals erinnerte ihn an die Alternative, die ihm blieb. Gleich morgen früh würde er ihr aus England eine Nachricht schreiben.
In der Bahn sank er auf die Sitzbank. Beim Zurücklehnen schloss er die Augen, um sich etwas auszuruhen. Nicht zu laufen, sich nicht anstrengen, einfach nur zu sitzen, fühlte sich so erholsam an. Marcus legte seine Hand über das Halsband, dabei dachte er an den Moment, wo man ihn auf diesem Sessel festgehalten hatte. In Zukunft sollte er Stones gegenüber viel mis s trauischer sein. Diese Überlegungen verdeutlichten ihm, wie sehr er sich nach England zurücksehnte. Für ein paar Stunden musste es ihm gelingen, seinen pochenden Schmerz in der Schulter zu ertragen. Er wünschte sich Unterstützung seiner Drachenseele. Am Flughafen angekommen, gab er seine Reisetasche auf, erhielt seine Bordkarte und ließ die Sicherheitsko n trollen hinter sich. Mit drei kleinen Wasserflaschen versuchte er seinen quälenden Durst zu stillen. Doch soviel er auch trinken mochte, seine Kehle schmerzte weiterhin. Vermutlich hatte er Fieber. Deshalb blieb er bis zum letzten Moment im Warteraum sitzen, um erst mit den Stewardessen an Bord zu gehen.
Geschafft!
Marcus sah sich mit dem Flug nach Amsterdam fast am Ziel. Einmal noch umsteigen, das sollte er noch schaffen. In Cardiff wollte William ihn vom Flughafen abholen.
„Ich halte es für keine gute Idee, in Ihrem Zustand zu reisen. Sie müssen einen Arzt aufsuchen.“ Eine Stewardess blieb neben ihm stehen.
„Es geht schon, danke.“ Sie schien mit der Antwort nicht zufrieden, deshalb fügte er hinzu. „Ich habe mich an der Schulter verletzt.“
Die Stewardess nickte, ging dann weiter. Den gesamten Flug über bot die nette Dame ihm wiederholt Getränke an, was
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