Drachenseele (German Edition)
anders vorgestellt. Da gab es weder die geringste Ähnlic h keit mit diesem dürren Waschlappen, noch die winzigste Sympathie. Dafür, dass Narvalvar der Kleinste und Schwächste g e wesen sein soll, machte er doch jetzt die beste Figur. Auch wenn seine Schwester sich interessiert gab, gehörte dieses Treffen ganz bestimmt nicht zu einem ihrer Herzenswünsche.
Der Kellner stellte die Champagnergläser auf den Tisch, gleichzeitig klingelte ein Handy. Nolmar griff in seine Jacketttasche, „entschuldigt mich bitte.“ Er stand auf, ging Richtung Eingangshalle, um sein Gespräch zu führen. Ayraval hob ihr Glas und lächelte Narvalvar zu. In ihren Mundwinkeln entsta n den dabei kleine Grübchen, das passte zu ihr, sah sogar richtig niedlich aus. Mit Nicoles Lächeln war es aber definitiv nicht vergleichbar.
„Wir freuen uns, dich kennen zu lernen.“ Das klang nicht heuchelnd, deshalb beschloss Narvalvar sich mit seinem Kommentar zurückzuhalten. Er nickte ihr, dann Richard, wortlos mit seinem Glas in der Hand, zu.
Als Nolmar an den Tisch zurückkehrte, legte er seine Hände auf Ayravals Schultern und beugte sich zu ihr. „Entschuldige, es ist wirklich sehr wichtig.“ Anschließend richtete er sich auf, sah zu Richard. „Sorry, aber das Familientreffen muss leider ohne mich stattfinden.“ Nolmar wirkte gelöst. Der Anruf befreite ihn offensichtlich von dieser langweiligen und vermutlich unerwünschten Begegnung. Narvalvar kämpfte gegen das Gefühl der Enttäuschung über seine Geschwister. Ihm war die Idee nicht gekommen, vollkommen anders als die beiden zu sein. Nun holte ihn die Wahrheit mit all seinem bitteren Geschmack ein, ließ sich auch nicht mit diesem edlen Tropfen heruntersp ü len. Ayraval stellte Narvalvar zwar ein paar Fragen, doch ihm schien es mehr eine Geste der Höflichkeit zu sein, als wahres Interesse an ihm. Auch ihre Antworten blieben oberfläc h lich, befriedigten ihn nicht.
„Diese zurückhaltende Seite ist mir bisher noch gar nicht an Euch aufgefallen, Narvalvar.“ Richard hielt ihm die Tür vom Taxi auf.
„Es lag vermutlich an der frostigen Gesellschaft.“ Endlich durfte er der sein, der er war, keine zwanghaften Gespräche, keine gekünstelte Freundlichkeit.
„Ihr denkt ja schon wieder so negativ.“ Richard rutschte zu ihm auf die Rücksitztbank. „Ihr habt Euch jetzt ein Bild der beiden verschafft und werdet in Zukunft damit umzugehen wissen.“
Narvalvar nickte, stimmte im Geiste Richard zu. Zumindest bekam er eine Vorstellung wie Ayraval und Nolmar aufgewachsen waren, die den größten Teil ihrer Kindheit in Internaten verbracht hatten. Je länger er über die beiden nachdachte, umso deutlicher wurde ihm, dass seine Neugier nach den Geschwi s tern jetzt befriedigt war. Er sah keine Notwendigkeit für ein weiteres Treffen.
Richard hatte die kommenden Tage mit Ausflügen zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Londons verplant. Von der Westminster Abbey, zum London Zoo, über Saint Paul‘s Cathedral, bis hin zum Buckingham Palace vergaß Richard auch nicht die kulinarische Seite. An einem Abend besuchten sie den Covent Garden, dort spielten Straßenmusikanten und es gab einen Markt mit allerlei Tand und Krimskrams.
Bereits nach dem Frühstück holte Richard Narvalvar aus der kleinen Pension nahe seiner Wohnung ab, brachte ihn abends dann wieder zurück. Die vielen Eindrücke dieser lebendigen Stadt schenkten Narvalvar einen tiefen erholsamen Schlaf. Besonders schätzte er die Gespräche mit Richard, die ihn mit int e ressanten Erkenntnissen bereicherten. Im Gegensatz zu der Konversation mit dem General, verliefen sie sehr harmonisch. Mit jedem weiteren Tag wurde Narvalvar deutlich, dass er Richard ehrte, vor allem, wie sehr er ihn ins Herz geschlossen hatte. Genau wie Nicole, brachte Richard eine gute Portion Verständnis für ihn auf, konnte sogar seine Gefühle nachvollziehen.
Auch an diesem fünften Morgen frühstückte Narvalvar in der gemütlichen Pension. Er fühlte die Spannung in sich wachsen, was er an diesem Tag erleben würde. Allerdings ließ Richard heute auf sich warten, was mehr als ungewöhnlich war, denn meist gesellte er sich mit einer Tasse Tee zum Frühstück dazu.
Narvalvar fragte sich, was Richard aufgehalten haben könnte, ob Stones vielleicht plötzlich aufgekreuzt war. Möglich wäre auch, dass Richard gesundheitliche Probleme hatte. Nein, dann hätte er hier angerufen. Nach einer halben Stunde machte sich Narvalvar auf den Weg zu
Weitere Kostenlose Bücher