Drachenseele (German Edition)
Richards Wohnung. Mehrfaches Klopfen und Klingeln an der Wohnungstür blieben ohne Reaktion. Narvalvars wachsende Unruhe äußerte sich mit zitternden Händen, sogar mit leichter Übelkeit. Es musste etwas Schli m mes passiert sein. Vielleicht war Richard hingefallen, hatte sich den Kopf aufgeschlagen. Diese Überlegung wünschte er sich nicht weiter ausmalen zu müssen. Es dauerte keine zwei Min u ten, bis Narvalvar die Tür mit Hilfe seiner Masterkarte öffnete.
„Richard?“ Angespannt lauschte Narvalvar, während er den Flur betrat. Es blieb still. Weder hier, noch in der Küche oder im Wohnzimmer konnte er Ungewöhnliches feststellen. Wie er dann die Schlafzimmertür aufmachte, überfiel ihn eine merkwürdige Kälte. Richard lag reglos unter der voluminösen Da u nendecke und starrte an die Decke.
„Richard“, glitt Narvalvar über die Lippen, dabei klang er ein wenig vorwurfsvoll. Langsam bewegte Richard seinen Mund, ohne einen Laut von sich zu geben, ohne eine Regung im Gesicht zu vermitteln. Zitternd hob er die rechte Hand, als wolle er Narvalvar zu sich bitten. Er kniete sich zu Richard ans Bett, ergriff derweil die Hand. „Soll ich einen Arzt rufen?“
Richard blinzelte kurz, ohne den starren Blick von der Decke zu nehmen, „Hört auf Euer - Drachenherz.“ Er japste nach Atem, „Stones anrufen.“ Narvalvar erkannte in dem Gesicht, wie der Hauch von Lebendigkeit in diesem Augenblick erfror, was Narvalvar buchstäblich den Atem raubte. Es vergingen einige Momente bis Narvalvar diese Endgültigkeit begriff, „Richard?“ Seine Finger zitterten, als sie am Hals nach dem Puls fühlten.
Nichts! Kein Pochen, kein Pulsieren. Richard war tot. Narvalvar schluckte, doch der wachsende Kloß in seinem Hals ließ sich nicht vertreiben. Sein einziger Freund hatte ihn so plötzlich verlassen. Jetzt gab es nur noch den General, der unentwegt an ihm herumnörgelte, na und Stones, der sein Leben zu besti m men versuchte. Richard hätte ihm bestimmt noch eine ganze Menge beibringen können, auch wenn er selbst sich dazu nicht in der Lage sah.
Die letzten Worte klangen wie ein Echo in seinen Gedanken wieder. Wenn er tatsächlich auf sein Herz hören sollte, wollte er Nicole finden. Nur wie? Jemand in einer riesigen Stadt aufzuspüren, die einem alles andere als vertraut war, glich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Richard! Er hätte ihm bestimmt dabei geholfen. Nun war es zu spät. Narvalvar spürte die Ei n samkeit, wie sie in ihm hoch kroch, ihn zu packen drohte. St o nes! Er musste ihn anrufen, ihm die traurige Nachricht übermi t teln. Narvalvar kniete sich neben das Bett, legte seine Hände auf Richards faltige Wangen und strich mit den Daumen die Augenlider zu. Es kam ihm fast so vor, als habe Richard mit dem Sterben auf ihn gewartet, als wollte er seinen letzten A temzug in seinem Beisein vollziehen. Wie ruhig es in der Wo h nung jetzt war. Eine Stille, wie sie Narvalvar noch nie so b e wusst wahrgenommen hatte, dabei erschien sie ihm fast hei l sam.
Auf dem Flur fand Narvalvar ein altertümliches Telefon mit Hörer und Wählscheibe. Daneben lag ein kleines Telefonbuch. Unter dem Buchstaben St fand er Stones Handynummer, allerdings war ihm diese Nummer nicht bekannt. Stones hatte o f fensichtliche mehrere Handys.
„Richard! Was gibt es?“, meldete sich Stones.
Narvalvar musste schlucken bevor er sprach. „Richard ist eben verstorben.“
„Narvalvar! Um Gottes Willen!“ Er schien einen Augenblick zu benötigen, um sich zu sammeln. „Ihr wartet dort! Ich werde so schnell wie möglich jemand zu Euch schicken. Ihr rührt Euch nicht von der Stelle.“
Nach großen Unternehmungen war Narvalvar ohnehin nicht zu Mute. Die erste Zeit saß er im Wohnzimmer, ließ seinen Blick über die zahlreichen Bücher schweifen. Was nur für uralte Werke darunter waren, die Umschläge leicht eingerissen, teils noch in Leinen, ja sogar Leder gebunden. In den Regalen rechts vom Fenster fand er ausschließlich medizinische Literatur. Richard hatte sie bestimmt von seinem Vater übernommen. Dieses Zimmer barg vermutlich umfangreiches Wissen über die Medizin, über Möglichkeiten bei Tier und Mensch, folglich auch für Drachen. Was würde damit jetzt wohl geschehen? In einem Regal lag quer auf den Büchern ein weißer Umschlag. Es kam Narvalvar vor, als wolle dieses Kuvert ihm etwas sagen. Ständig musste er darauf schauen. Die Bücher standen wie Soldaten geordnet nebeneinander. Dieses Papier schien dort
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