Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
den Becher hart ab und schob seine Arme unter Janicas Schultern und Knie. Sie schien ihm leicht wie eine Feder, als er sie von dem Stuhl aufhob. Ihr Kopf rollte an seine Schulter, ihr Haar kitzelte seine nackte Haut. Sie wachte nicht auf.
»Ich bringe sie jetzt ins Bett!«
»Es ist keine der Gästekammern vorbereitet! Du hättest Bescheid geben müssen! Außerdem sollte sie baden!«, grollte Tirina.
»Ich bringe sie in mein eigenes Bett! Baden kann Janica auch morgen noch, es war ein harter Tag für sie.«
»Und wo schläfst du? Du willst ihr doch nicht etwa beiwohnen?« Tirina stemmte die Hände auf die Hüften und schaute Kana-Tu streng an.
Er grinste verlegen: »Beiwohnen? Gute Idee, aber ich glaube nicht, dass Janica momentan davon sehr begeistert wäre! Ich schlafe hier unten irgendwo. Vielleicht in der Halle vor dem Kamin!«
Ohne sich noch einmal umzusehen, stieg er mit Janica in den Armen die breite Treppe hinauf in das obere Stockwerk des weitläufigen Hauses.
»Jetzt bringt er die Kleine so schmutzig ins Bett! Und ich darf dann morgen wieder die Bettwäsche wechseln!«, murmelte Tirina und bohrte einen tadelnden Blick in Kana-Tus Rücken. Dann goss auch sie sich einen Becher Tee ein und verfeinerte ihn mit einem Schuss Branntwein aus der großen Tonkruke im hintersten Winkel des Vorratsregals.
Mit dem Fuß stieß Kana-Tu die Tür zu seinem Gemach auf. Im Treppenhaus hatten ihm die kleinen von Öl genährten Nachtlampen Licht gespendet, hier drinnen war es völlig dunkel. Vorsichtig schritt Kana-Tu vorwärts, um mit seiner kostbaren Last nicht zu stolpern. Noch behutsamer legte er dann Janica auf das breite, mit daunengefüllten Decken bedeckte Bett. Sie seufzte leise, drehte sich ein wenig zur Seite – und schlief weiter.
Kana-Tu nahm eine Kerze von dem Leuchter, der auf dem Tisch nahe des Kamins stand, um sie draußen auf dem Flur an einer Nachtlampe anzuzünden. Im mildgelben Licht der Kerzenflamme betrachtete er Janica, setzte sich schließlich neben sie auf die Bettkante. Ihr Haar breitete sich stumpf und strähnig von der Kerkerhaft um ihren Kopf auf den Kissen aus. Vom langen Flug im eisigen Wind war ihr Gesicht noch immer rot und geschwollen, unter ihren Augen lagen tiefe Schatten und ihre Lider waren verklebt, gerade so, als hätte sie lange geweint. Ihre Füße waren nicht minder schmutzig als die seinen, obwohl sie gar nicht barfüßig durch die Wiese gelaufen war. Kurzum – sie war noch immer die schönste Frau der Welt für ihn!
Er zupfte sachte einen Grashalm aus ihrem Haar und beugte sich zu ihr nieder. Seine Lippen berührten ihre Wange, ihren Hals, ihre Augenlider. Sie schmeckte nach Salz und Erde. Er konnte nicht anders, er musste sie küssen. Seine Zunge fuhr spielerisch zwischen ihre Lippen.
Janica regte sich und stöhnte leise.
»Avid?«, murmelte sie, ohne wirklich zu erwachen. »Avid?«
Kana-Tu wich zurück und saß wie zu Stein erstarrt. Die Kerze in seiner Hand flackerte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er so neben Janica gesessen hatte, als er endlich das Zimmer verließ. Jeder Schritt fiel ihm unendlich schwer.
49.Kapitel: Schon wieder im Badezuber!
Janica erwachte von den Sonnenstrahlen, die sie auf ihren Augenlidern kitzelten und sich durch die großen Fenster wie flüssiges Gold in den Raum ergossen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Das Bett, auf dem sie lag, war noch breiter als der große Diwan, auf dem sie in Avids Harem geschlafen hatte. Die Kissen und Decken, in die sie sich während ihres Schlafs gewühlt hatte, waren nicht minder weich als jene in Wasserland, allerdings waren sie nicht mit Seide bezogen, sondern mit fein gewebtem schneeweißem Linnen. Die Wände des Zimmers waren schlicht mit Kalk getüncht, die Decke bestand ebenso wie der Fußboden aus breiten Holzbohlen. Außer einem Tisch, einem Sessel und einer Truhe sah Janica keinerlei Einrichtungsgegenstände, nicht einmal Vorhänge, um die Fenster abzudunkeln. Wer auch immer in diesem Gemach lebte, er legte keinen Wert auf Prunk oder unnützen Tand.
Ächzend stemmte sie sich auf. Es schien keinen Knochen in ihrem Körper zu geben, der nicht schmerzte. Der Drachenritt hatte ihr zugesetzt. Ein Vergnügen war das nicht gerade gewesen! Sie schwang ihre Beine aus dem Bett und stierte konsterniert auf ihre staubigen Füße. Oh weh, sie mochte gar nicht nachsehen, wie das schöne weiße Bettzeug jetzt aussah! Sie konnte sich trübe erinnern, dass am Vorabend von einem Bad die Rede
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