Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Problem! Dabei hatte sie weder darum gebeten, als Drachenfutter serviert, noch darum, als Sklavin verkauft und an einen bockigen Prinzen verschenkt zu werden! Sie biss sich auf die Zunge. Vielleicht wäre sie trotzdem aufgesprungen und hätte Avid gehörig die Meinung gesagt, wenn Inna nicht noch immer ihre Finger über Janicas Gesicht hätte wandern lassen.
»Du bist sehr schön!«, sagte Inna schließlich. »Welche Farbe hat dein Haar? Sonne oder Erde?«
Janica war verblüfft, auf welche Weise die kleine Blinde Farbe definierte. »Eher Sonne!«, antwortete sie.
»Bitte, Janica, lass dich von La’ad in dein Zimmer bringen. Es hat sowieso keinen Zweck, davonzulaufen!« Waja hob die Hand, noch bevor Janica etwas sagen konnte.
»Nein, widersprich nicht! Jeder Mensch, der soeben seine Freiheit verloren hat, versucht sich an der Flucht, zumindest in Gedanken. Wie ich Werid kenne, wird er sich gelegentlich davon überzeugen, dass Avid dich nicht einfach laufengelassen hat. Das wäre eine Missachtung seines Geschenks und es würde uns allen viel Ärger bereiten, wenn du verschwunden wärest.«
La’ad hatte seine Lanze wieder aufgenommen, um sich daran aufzustützen und tappte zu einer Tür, die Janica erst jetzt bemerkte, so gut war sie in die mit Blütenranken und Fantasiemustern bemalte Wand eingepasst. Ein finsterer Kerker schien sich dahinter nicht zu verbergen, deshalb kam Janica Wajas Aufforderung nach, erhob sich und durchschritt die von La’ad aufgesperrte Pforte. Verblüfft blieb sie stehen und bemerkte kaum, dass hinter ihr die Tür geschlossen und ein Riegel vorgelegt wurde.
Janica stand nicht etwa in einem Zimmer, nein, das war geradezu ein Saal! In der Mitte des Raumes stand ein riesiges Bett, das von einem Baldachin überdacht und ringsum von Vorhängen aus zart durchscheinenden Stoffen umgeben war. An den mit Malereien geschmückten Wänden türmten sich große Kissen in allen Farben des Regenbogens, vor den riesigen, bis zum Boden reichenden Fenstern stand ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln. Bedauerlich war nur, dass die Fenster wieder vergittert waren. Die kunstvolle Schmiedearbeit sah zwar allerliebst aus mit all ihren Schnörkeln und Ranken, aber leider auch sehr stabil, wie Janica durch leichtes Rütteln feststellen konnte. Sie ließ die Fensterflügel geöffnet, denn von dem menschenleeren, wieder einmal von einer Mauer umschlossenen Blumengarten, in den sie hinaussehen konnte, strich ein angenehmer Windhauch herein, der den Duft von Blüten mit sich trug.
Es fiel Janica zunehmend schwerer, sich auf die Annehmlichkeiten ihrer Unterkunft zu konzentrieren, denn sie wurde von einem Bedürfnis geplagt, das auch Prinzessinnen nicht fremd war. Sie kniff die Beine zusammen und überlegte, ob sie an der Tür klopfen und nach Waja rufen sollte. Da fiel ihr auf, dass eine der Zimmerwände von einem Stoffvorhang gebildet wurde. Verbarg sich dahinter die Heimlichkeit, wie die Aborte auf dem heimatlichen Schloss verschämt genannt wurden?
Janica schob den Vorhang beiseite und glaubte, endgültig in der Heimstatt der Götter gelandet zu sein. Vor ihr lag ein in den Boden eingelassenes ovales Bassin. Breite Stufen führten in das klare Wasser hinein. Welch eine Verlockung! Allerdings bereitete Janica der Anblick von so viel Wasser momentan ganz andere Sorgen. Suchend schaute sie sich um und entdeckte ein in Blau und Weiß marmoriertes Becken. War man im Wasserland so dekadent, seine Notdurft in feinstes Porzellan zu verrichten?
Doch, man war. Das Becken hatte genau die richtige Sitzhöhe, verfügte unten über ein Loch, unter dem offenbar Wasser entlangfloss. Janica war beeindruckt. Daheim in ihres Vaters Schloss hingen die Abtritte über der Außenmauer, damit der unappetitliche Abfall in den Graben plumpste. Im Sommer wimmelte es dort von Fliegen und der Gestank zog mitunter bis in die Wohnräume. Wie praktisch war es doch, wenn hier gleich alles vom Wasser weggespült wurde!
Um etliches erleichtert, widmete sich Janica wieder dem Bassin. Sie kniete sich nieder und hielt ihre Hand in das Wasser. Angenehm warm! Wurde das Bassin von den heißen Quellen gespeist, die sich unter der Oberfläche der Insel befinden sollten? Der auf dem Boden bereitliegende Stapel blütenweißer weicher Tücher enthob sie der letzten Zweifel. Das hier war ein überdimensionaler Badezuber!
Während sie noch überlegte, ob sie schon wieder ein Bad nehmen sollte, klopfte es an der Tür. Wie nett, ihre Kerkermeister waren
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