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Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
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Die genaue Uhrzeit. Kennen Sie die?«
    Â»Selbstverständlich.«

    Der Mann schrieb alles auf ein großes Blatt Papier. »Ich schlage vor, dass ich Ihnen einiges über Ihre Vergangenheit erzähle. Sollte sich herausstellen, dass diese Dinge zutreffen, spreche ich über Ihre Zukunft. Täusche ich mich aber, stimmt etwas mit meiner Kalkulation nicht. Dann brechen wir die Sitzung ab. Selbstverständlich müssen Sie in diesem Fall nichts bezahlen. Sind Sie damit einverstanden?«
    Paul nickte.
    Meister Wong begann seine Berechnungen anzustellen, stand auf, holte ein dickes, abgegriffenes Buch aus einem Regal, blätterte darin, zog ein zweites zu Rate, rechnete erneut. Paul hatte das Gefühl, dass Wong sich mit jeder Minute mehr von ihm entfernte. Ihm wurde allmählich unwohl. Er bemühte sich, das Wippen seines linken Fußes zu kontrollieren, schlug die Beine übereinander, verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
    Nach minutenlangem Schweigen legte der Astrologe den Stift zur Seite und schaute ihn an.
    Â»Sie haben als Kind den Wohnort gewechselt.«
    Paul nickte. Das tun viele Kinder, dachte er, sagte aber nichts.
    Â»Sogar den Kontinent.«
    Â»Stimmt.«
    Â»Sie haben das Haus in jungen Jahren verlassen.«
    Â«Stimmt ebenfalls.«
    Â»Das Verhältnis zu Ihrer Familie war distanziert.«
    Â»Ja«, antwortete Paul und räusperte sich. Sein Hals war trocken. Er fühlte sich wie ein Angeklagter, der einem Richter Rede und Antwort stehen sollte.
    Â»Ihre Eltern sind beide tot.«
    Â»Richtig.«
    Â»Ihre Mutter starb früh.«

    Â»Auch richtig.«
    Meister Wong lächelte kurz. »Sie müssen nicht jede Angabe bestätigen, ich nehme nicht Ihre Personalien auf. Es genügt, wenn Sie mich berichtigen, sobald ich mich irre.« Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Sie haben zwischen Ihrem vierzigsten und fünfzigsten Lebensjahr geheiratet.«
    Paul deutete ein Nicken an.
    Â»Es war Ihre erste Ehe.«
    Â»Ja«, sagte Paul wie in Trance.
    Â»Sie sind geschieden. Sie haben ein Kind.«
    Paul rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Den Rest wollte er nicht hören.
    Â»Einen Sohn.« Der Mann machte eine lange Pause. Er blätterte in mehreren Büchern, kritzelte etwas auf ein Blatt Papier, strich es durch, schrieb etwas anderes darunter. Paul konnte die auf dem Kopf stehenden chinesischen Schriftzeichen nicht entziffern.
    Er wollte sagen, dass er genug gehört hatte, dass der Meister mit allen Aussagen richtig gelegen habe, dass er jetzt über die Zukunft sprechen könne, dass er den nächsten Satz nicht hören wollte. Es kam kein Wort über seine Lippen.
    Der Astrologe hob den Kopf und blickte ihm in die Augen: »Ihr Sohn ist tot.«
    Â 
    Paul saß in einer Garküche am Ende der Stanley Street; es war heiß, sein Hemd klebte auf der Brust, der Schweiß tropfte ihm vom Kinn, rann Nacken und Rücken hinunter, selbst sein Ledergürtel war feucht geworden. Vor ihm standen ein Teller gebratene Nudeln und ein kaltes Bier. Er fühlte sich noch immer wie benommen. Er wollte, er konnte nicht glauben, was er erlebt hatte. Woher wusste der Mann so viel über seine Vergangenheit? Christine? Sie hatte behauptet,
dem Astrologen nichts von Paul erzählt zu haben, und er vertraute ihr. Hatte der Meister am Nachmittag aus irgendeinem Grund Nachforschungen über ihn angestellt? Oder es gab einen gemeinsamen Bekannten, von dem Paul nichts wusste? Vielleicht war Meredith, seine geschiedene Frau, einmal bei Wong gewesen und hatte von ihm berichtet? Alles möglich. Nicht sehr wahrscheinlich, zugegeben, aber denkbarer als die Vorstellung, dass die Konstellation der Sterne bei seiner Geburt dem Mann etwas verraten haben könnte. Oder?
    Hätte ein Fremder ihm diese Geschichte erzählt, Paul hätte kein Wort geglaubt. Er versuchte sich zu konzentrieren, aber ihm schwirrten zu viele Gedanken durch den Kopf. Er wollte eine Erklärung. Er wollte eine Antwort und ahnte, dass er keine finden würde. Nicht jetzt. Dass er sich auf die Suche machen musste. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte er sich tief verstört. Verunsichert. Allein.
    Es war dunkel geworden, die Klapptische und Plastikhocker um ihn herum waren fast alle besetzt, mehrere Köche bereiteten in großen Woks Gerichte zu. Der Geruch von gebratenem Fleisch, Knoblauch und Zwiebeln wehte zu ihm herüber. Es zischte und

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