Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
Vom Netzwerk:
»Warum? Muss ich?«
    Â»Nein, natürlich nicht. Aber seit wann richtet sich unser Gewissen danach, ob es einen objektiven Grund gibt oder nicht? Deine Mutter ist mit dir, nicht mit ihm, nach Hongkong geflohen, keiner von euch hatte die Wahl. Das Leben hat es gut mit dir gemeint. Mit ihm weniger. Das ist nicht deine Schuld und nicht sein Versagen.«
    Â»Was dann?«
    Â»Schicksal, oder? Glaubst du, eure Mutter hat wirklich nach ihm gesucht?«
    Â»Nein. Zumindest hat sie mir davon nie etwas gesagt.«
    Â»Seltsam, findest du nicht?«
    Â»Ja, sehr.«
    Â»Was könnte sie davon abgehalten haben?«
    Christine hatte darauf keine Antwort.
    Â»Hast du sie je danach gefragt?«

    Â»Nein.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Keine Ahnung. Wir haben weder über meinen Vater noch über meinen Bruder gesprochen. Ich habe es dir im Flugzeug gesagt, Chinesen fragen nicht so viel. Ich habe geglaubt, sie würde schon mit mir reden, wenn sie möchte, dass ich etwas darüber weiß.«
    Dieses Schweigen war ihr jetzt mehr als unangenehm. Sie schämte sich. Sie fühlte sich wie eine Komplizin, ohne zu wissen, warum oder gegen wen sie sich mit ihrer Mutter verbündet hatte.
    Eine Dreiviertelstunde später setzte das Taxi sie vor dem Grand Emperor ab, Yin-Yin zufolge der besten Adresse der Stadt. In der Auffahrt parkten Mercedes- und Audi-Limousinen, vor dem Eingang stand ein exklusiver Geländewagen. Ein Portier nahm ihnen eilfertig ihre kleinen Koffer ab, zwei Pagen hielten ihnen die Tür auf. In der Lobby funkelten gewaltige Kronleuchter, wie Christine sie selbst aus Hongkong nicht kannte, im weißen Marmorfußboden lagen acht Goldbarren unter fettem Glas. Doch kaum hatten sie die Eingangshalle verlassen, befanden sie sich im heruntergekommensten Luxushotel, das Christine je gesehen hatte. Als wären sie in einem Theater hinter die Kulissen geraten. Der Teppich im Flur war abgetreten und von Zigaretten und Getränkeflecken übersät, die Wände abgestoßen, an manchen Stellen wölbte sich die Tapete.
    In ihrem Zimmer roch es streng nach Reinigungsmitteln, Christine bemerkte einen Feuchtigkeitsfleck auf der Bettdecke. Sie schlug sie zurück und prüfte, ob wenigstens das Laken sauber war.
    Â»Es ist nur für eine Nacht«, sagte Paul, als hätte er ihre Gedanken erraten.

    Sie öffnete die Vorhänge. Die großen Fensterscheiben waren mit einem grauen Schleier überzogen, dahinter sah sie eine graue Stadt und Fabrikschlote, aus denen grauer Qualm in den Himmel stieg. Sie zog die Vorhänge wieder zu.
    Sie waren zu erschöpft, um ins Restaurant zu gehen. Paul bestellte gebratene Nudeln, Reis und Auberginen mit Hackfleisch, und kurze Zeit später hockten sie auf dem Bett, aßen und zappten im Fernsehen zwischen Seifenopern aus der Qing-Dynastie, einer Akrobatenshow, einem Gesangswettbewerb gänzlich untalentierter Amateure und den auf drei Sendern gleichzeitig laufenden Börsennachrichten hin und her. Das Essen triefte vor Fett und war lauwarm, nach ein paar Bissen stellten sie die Teller beiseite und starrten auf die bewegten Bilder vor ihnen.
    Â»Ich will mit dir schlafen«, sagte sie plötzlich und schaltete den Fernseher aus. Es hatte nicht wie ein Befehl klingen sollen.
    Paul rutschte langsam tiefer ins Bett und zog die Decke über ihre Köpfe. »Bist du sicher?«, fragte er leise.
    Â»Ja«, flüsterte sie.
    Er berührte sie mit seinen Fingerspitzen, glitt ihren Rücken auf und ab, spielte mit seiner Zunge an ihrem Ohr, war so behutsam, als wäre es das erste Mal. Was er bei ihr weckte, war viel mehr als nur die Lust. Sie wollte ihn in sich spüren, wollte ihn festhalten. Für immer und immer. Verschmelzen. Er sollte sich nicht bewegen, einfach nur in ihr verharren. Das Pochen ihrer Herzen. Das Gewicht der Welt auf ihrem Körper.

VII
    Paul wälzte sich im Bett, die klimatisierte Luft war zu kalt und zu trocken, das Brummen der Anlage unangenehm laut. Neben ihm leuchteten die roten Ziffern des Digitalweckers grell in der Dunkelheit: 2:45.
    Es war der Gedanke an die Katzen, der ihm keine Ruhe ließ. Er starrte in die Dunkelheit und versuchte sich zu erinnern: tote Katzen. Verrückte Katzen. In den Jahren, in denen er in Hongkong als Journalist gearbeitet hatte, musste er einmal für ein amerikanisches Magazin eine Geschichte über Katzen recherchieren, die auf ähnlich qualvolle Weise zu Grunde

Weitere Kostenlose Bücher