Drachenspiele - Roman
Wellen zu reiten. Der nicht irgendwann erschöpft in die Kissen sank und sie spüren lieÃ, dass es nun an der Zeit war, sich umzudrehen und zu schlafen. Zuweilen hatte sie das Gefühl, dass ihn ihre Befriedigung am meisten erregte, nicht aus Rücksicht, sondern weil er daraus seine gröÃte Lust zog.
Ihre Freude über das wachsende Leben in ihr hielt nur ein paar Stunden. In der Nacht saÃen die Zweifel wie fette Kröten auf ihrem Bett. Machten sich ekelhaft breit. Ihr winziges Zimmer, in das gerade ein Doppelbett und ein Stuhl passten, schrumpfte vor ihren Augen. Nicht einmal Platz für eine Wiege gäbe es. Wo sollte sie die Zeit für ein Neugeborenes
hernehmen? Wenn sie bei World Wide Travel Inc. auch nur ein paar Tage fehlte, gab es Probleme. An Wochen war gar nicht zu denken. AuÃerdem waren sie zu alt. Viel zu alt. Sie wäre sechzig, und ihr Kind ginge noch immer zur Schule. Paul wäre sogar siebzig! Eine grauenhafte Vorstellung. Wie sollten sie dann noch ein Studium finanzieren können?
Und Paul? Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger konnte sie sich vorstellen, dass er nach Justins Tod noch einmal Vater werden wollte. Sie hatten darüber nie ein Wort verloren. Manchmal hatte sie insgeheim darüber nachgedacht, was gewesen wäre, wenn sie sich zehn Jahre früher kennen gelernt hätten. Mit Sicherheit hätte sie ein Kind von ihm gewollt. Aber eigentlich mochte sie solche Gedankenspiele nicht, sie führten zu nichts. Was wäre, wenn, war eine Frage für Menschen, die den Luxus von zu viel Zeit genossen. Zu denen gehörte sie nicht.
Christine überlegte kurz, ob sie das Kind abtreiben sollte, ohne Paul etwas zu sagen. In diesem frühen Stadium eine Sache von Minuten. Er würde nicht einmal erfahren, dass sie schwanger gewesen war. So hätte sie es womöglich früher gemacht. Plus und Minus. Die Minus-Liste war unerträglich lang. Ein Kind wollen oder nicht. Es gab kein und . Mit Paul war eine heimliche Abtreibung undenkbar. Sie wollte, sie musste es ihm sagen - wenn er nein sagte, würde sie sich nicht widersetzen.
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Nicht so aufgeregt, sei nicht so aufgeregt. Christine wiederholte die Sätze, als flüstere sie sich zur Beruhigung etwas ins eigene Ohr. Sie stand in der Ankunftshalle des Flughafens Chek Lap Kok und wunderte sich, dass niemand sie beachtete. Wie konnte es sein, dass die vielen Menschen um sie herum ihre Freude, ihre Anspannung und ihr wild pochendes
Herz nicht bemerkten? Für einige kurze Augenblicke erlaubte sie sich den Luxus des Träumens. Ein Junge oder ein Mädchen? Die blauen Augen von ihm oder die dunklen von ihr? Die zarte Haut eines Neugeborenen. Das Säuglingslächeln, das sie schon bei Josh immer so gerührt hatte. Die Bedingungslosigkeit kindlicher Liebe, das Grenzenlose an ihr. Mittelpunkt der Welt zu sein. Einmal noch.
Die Maschine aus Shanghai war gelandet. Nur noch wenige Minuten.
Wo sollte sie es ihm sagen und wie? Auf Lamma, während eines Spaziergangs oder beim Abendessen im Kerzenschein in seinem Garten? Unter Menschen, mitten in Hongkong, so wie sie es erfahren hatte?
Sie entschied sich nach einigem Zögern für den Peak. Ein schwieriger Ort, auf dem ein langer Schatten lag. Sie wusste es. Paul war häufig mit seinem Sohn dort spazieren gegangen. Aber der höchste Punkt ihrer Stadt besaà auch für Christine eine besondere Bedeutung. Er hatte ihr lange Zeit als eine Art Fluchtburg gedient. Die kühlere, klarere Luft auf fünfhundert Metern Höhe, wenn die Hitze und Feuchtigkeit der Stadt die Luft zum Atmen raubten. Die Ruhe, der Blick über die Häuser und den Hafen hinaus aufs Südchinesische Meer. Die Weite. Hierhin hatte sie sich zurückgezogen, wenn ihr Hongkong zu viel oder die Einsamkeit inmitten so vieler Menschen unerträglich geworden war. Wenn sie sich fortträumte. Sie wollte mit Paul den Gipfel auf der Lugard Road umrunden, reden, auf einer Bank sitzen, in die Ferne schauen, und zu welcher Entscheidung sie dort auch kämen, es würde die richtige sein.
Sein Lachen. Sein Blick, in dem sie sich so aufgehoben fühlte. Wie hatte sie es über eine Woche ohne ihn ausgehalten? Seine Umarmung lieà alle schwierigen Gedanken
schwinden. Ein Kind. Mit ihm. Wie konnte sie daran auch nur eine Sekunde zweifeln?
»Nun erzähl schon, was ist die riesengroÃe Ãberraschung?«, fragte er, als sie im Airport Expresszug
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