Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drachenspiele - Roman

Titel: Drachenspiele - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blessing <Deutschland>
Vom Netzwerk:
Frauen, die in Zeitschriften blätterten. Das Geschrei eines Babys.
    Â»Es besteht kein Zweifel«, hatte der Gynäkologe eben auf ihre Nachfrage erklärt. »Sie erwarten ein Kind.«
    Für Sekunden glaubte sie, das Bewusstsein zu verlieren. Nicht vor Schreck, auch nicht aus Angst. Etwas in ihr geriet aus dem Gleichgewicht.
    Ein Kind? Sie? Ausgeschlossen. Ein Irrtum.
    Seit Jahren hatte sie sich mit diesem Gedanken nicht mehr beschäftigt. Sie war dreiundvierzig Jahre alt. Sie erwartete das Klimakterium, aber kein Kind. Und wenn doch? Wenn sie tatsächlich zum vierten Mal in ihrem Leben schwanger geworden war?
    Das erste Kind hatte sterben müssen, ohne dass Christine das sonderlich bekümmert hatte. Die Schwangerschaft war ein Missgeschick gewesen, Folge einer flüchtigen Bekanntschaft, sie war jung, neunzehn Jahre alt, in ihrem Leben war kein Platz. Erst später, als sie bereits Mutter war, begann sie zu begreifen, was sie getan hatte. Beim zweiten Mal brachte sie Josh zur Welt. Kurz nach seinem dritten Geburtstag wurde sie wieder schwanger. Sie wollte das Kind, ihr Mann nicht. Unter keinen Umständen. Er hatte viele Argumente, seine häufigen Geschäftsreisen nach China, ihr Reisebüro, Josh, für den sie jetzt schon zu wenig Zeit hatten. Christine fügte sich - widerwillig. Später erfuhr sie, dass er zu jener Zeit bereits eine chinesische Geliebte auf der anderen
Seite der Grenze aushielt, die ihm wenig später einen Sohn gebar. Deshalb hatte ihr Kind nicht leben dürfen. Der Gedanke daran war noch heute schwer zu ertragen. Jahrelang wurde sie von einem Albtraum verfolgt, in dem sie unter großen Schmerzen ein gesundes Baby zur Welt brachte, ihr erstes, das sie sich mehr als alles andere auf der Welt gewünscht hatte, und das gleich nach der Geburt spurlos verschwand. Sie suchte es überall, rannte im Krankenhaus im blutverschmierten Nachthemd schreiend von Zimmer zu Zimmer, durchwühlte die Kleiderschränke ihrer Wohnung, lief im Traum panisch durch einen MTR-Zug, starrte jeden Passagier an, überprüfte jede Einkaufstasche, bis sie schließlich im letzten Wagon weinend zu Boden sank und schweißgebadet erwachte. Damals wollte sie nie wieder schwanger werden und hatte sogar kurz erwogen, sich sterilisieren zu lassen.
    Und heute? Was wäre, wenn Doktor Fu Recht hatte? Sie waren alte, sehr alte Eltern, da war die Wahrscheinlichkeit, ein krankes Kind zu bekommen, beträchtlich erhöht. Wollte sie dieses Risiko eingehen? Wie würde Paul reagieren? Wie könnte es überhaupt funktionieren? Mit Josh? In ihrer kleinen Wohnung. Das Reisebüro. Paul auf Lamma. Wo blieb da Zeit für ein Kind? Durchwachte Nächte, Koliken, die ersten Zähne. Wo sollte sie die Kraft hernehmen? Nichts als Fragen und Bedenken in ihrem Kopf, und als Christine gerade fürchtete, unter ihnen begraben zu werden, riss etwas sie auf wundersame Weise aus diesen Gedanken heraus, hob sie hoch und trug sie fort. Ein Gleichgewicht stellte sich wieder ein, aber es war nicht mehr dasselbe. In diesem Moment gab es weder Angst noch Sorgen - nur noch ein Gefühl, für das sie keine Worte hatte, das ganz von ihr Besitz ergriff und sie mit einer fast unerträglichen Leichtigkeit erfüllte. Als hätte sie ein
Rauschmittel genommen, dessen beglückende Wirkung hoffentlich niemals nachlassen würde. In ihr wuchs ein Mensch. Stecknadelkopfgroß. Kein Irrtum. Warum auch nicht? Eine letzte, niemals wiederkehrende, ganz und gar unverhoffte Chance. Eine Laune des Schicksals. Geschenktes Glück.
    Wann und wo mochte es passiert sein? Am Samstag vor vier Wochen, als sie zusammen kochten und Christine eine solche Lust überkam, dass sie Paul auszog, noch im Wohnzimmer verführte und ihn so heftig im ganzen Körper spürte, dass sie selbst Tage später eine Gänsehaut bekam, wenn sie daran dachte? Oder am Tag darauf, morgens im Bett, nachdem Paul sie mit frischem Kaffee und warmen Croissants geweckt hatte? Sie verbrachten den ganzen Vormittag im Bett, liebten sich zweimal, weniger wild als am Abend zuvor, dafür derart zärtlich und innig, nicht voneinander lassen könnend, dass sie einen Augenblick lang dachte, so, und nur so, sollte neues Leben entstehen.
    Paul war der erste Mann, der ihr beim Sex nicht das Gefühl gab, alles, was sie taten, habe einem Höhepunkt entgegenzusteuern. Der ihr Zeit ließ, weil er sie selber brauchte. Der ihr half, auf

Weitere Kostenlose Bücher