Drachensturm
Läufer, sondern von schwer bewaffneten Kriegern erwartet, die ihn, als er ihnen gesagt hatte, wer er war, rasch ins nahe Lager führten. Kemaq sah einige hundert Krieger, die sich dort an einem Weiher versammelt hatten, und er sah auch, dass immer noch weitere Krieger in kleinen Gruppen den Berg herabkamen. Der Hohepriester hatte eine behelfsmäßige Tempelpyramide errichten lassen, auf der er, gerade als Kemaq eintraf, ein kostbares Gewand opferte. Der Tempel war aus grob behauenen Steinen zusammengesetzt und überragte das Lager deutlich. Kemaq empfand einen Anflug von Stolz, denn offensichtlich war die kleine Pyramide das Werk seiner Leute, die wieder einmal bewiesen hatten, dass sie den Namen Steinvolk zu Recht trugen. Im Schatten des Altars lag ein Mann. Er war tot. Kemaqs kurz aufflackerndes Hochgefühl war sofort wieder erloschen. Er sah genauer hin und erkannte einen von Jatunaqs Kriegern wieder, einen von denen, die es nicht einmal in den Palast hineingeschafft hatten. Er war der Mondfestung also entkommen, doch nur, um hier zu sterben. Mit erschreckender Kälte wurde ihm bewusst, dass er vermutlich dasselbe Schicksal erleiden würde. Er blickte sich um, aber er konnte seinen Bruder Qupay nicht sehen, Qupay den Priester, der ihm und Jatunaq die ganze Sache eingebrockt hatte, und der vielleicht jetzt ein gutes Wort für ihn hätte einlegen können.
Huaxamac betete lange mit erhobenen Händen zu Inti, während das bunte Gewand mit hellem Rauch verbrannte, was Kemaq viel Zeit ließ, über sein düsteres Schicksal nachzudenken. Endlich wandte der Hohepriester sich von der Opferschale ab, wusch sich die Hände, stieg die vier Stufen des Altars herab und setzte einen hohen, federgeschmückten Kriegshelm auf. Der Curaca war ebenfalls dort, aber wieder schien es Kemaq, als halte er sich auffallend im Hintergrund, und es war der Hohepriester, der die Befehle erteilte. Einer der Krieger, die Kemaq geleitet hatten, trat zu Huaxamac und flüsterte ihm etwas zu, aber der Hohepriester schien sich zunächst nicht weiter um den Läufer, der geradewegs aus der Festung des Feindes kam, kümmern zu wollen. Er erteilte weitere Befehle, besprach sich mit seinen Hauptleuten, und erst dann befahl er Kemaq, vorzutreten.
» Du hast meine Krieger zu ihrem Ziel geführt, hörte ich, doch waren ihre Arme zu schwach, ihren Auftrag zu erfüllen.«
» Sie sind dabei gestorben, Herr«, erwiderte Kemaq, dem es nicht gefiel, wie der Priester über seinen Bruder sprach.
» Weil es ihnen an Glauben mangelte«, entgegnete Huaxamac scharf. » Fehlt es dir auch daran, Chaski?«
» Nein, Herr«, antwortete Kemaq und schluckte seinen Zorn hinunter.
» Wie ist es dir gelungen, zu entkommen, Chaski? Bist du auch durch brennendes Wasser geschwommen wie jener Krieger, der Inti so enttäuscht hat?«, fragte er und deutete mit knapper Geste auf den Leichnam.
» Nein, Herr«, antwortete Kemaq, und dann schilderte er seine Flucht aus der Festung des Mondes, erzählte, wie der andere Läufer von den Waffen der Fremden getötet worden war, außerdem von den neuen Fremden, die in riesigen Booten übers Meer gekommen waren, den seltsamen vierbeinigen Tieren, auf denen sie ritten, und dem Gemetzel in der Stadt. Pitumi erwähnte er wieder nicht, und noch etwas verschwieg er dem Hohepriester, ohne dass er wusste, warum er das tat, nämlich, dass die Frau mit der Borla keine hohe Fürstin, sondern einfach nur blind war.
» Waffen, die Blitz und Donner schleudern?«, fragte Huaxamac, als Kemaq zum Ende gekommen war.
» So ist es, Herr.«
» Es ist offensichtlich, dass du in deiner Furcht übertreibst. Doch mache ich dir keinen Vorwurf, denn du bist ein Läufer, kein Krieger. Wir werden uns diese Fremden bald selbst ansehen, denn heute Nacht marschieren wir nach Chan Chan, und morgen früh gehört die Stadt wieder uns.«
Kemaq öffnete den Mund, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte dem Priester doch in aller Deutlichkeit die furchtbare Macht der Feinde geschildert. Warum hörte er nicht auf ihn? » Und das Opfer, Herr?«, stieß er hervor, obwohl er wusste, dass er in Gegenwart eines Hohepriesters nur reden durfte, wenn er gefragt wurde.
Huaxamac warf ihm einen eisigen Blick zu, aber Kemaq verspürte jetzt keine Angst mehr, denn sein Leben war ohnehin verwirkt. Er bemerkte, dass einige der Umstehenden den Priester erwartungsvoll ansahen, aber dieser zögerte mit einer Antwort. Schließlich sagte er: » Ich glaubte, Inti verlange ein
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