Drachensturm
besonderes Opfer, um uns seine Gunst zu schenken, doch jetzt sehe ich an neuen Zeichen, dass dies gar nicht nötig ist.« Er starrte Kemaq kurz an und stieg dann wieder die Stufen der Pyramide empor, so dass jeder im Lager ihn gut sehen konnte. Er breitete die Arme aus und rief: » Seht, dieser Läufer ist das Zeichen, auf das wir gewartet haben! Er war zwei Mal in der Festung des Feindes und kam stets wieder hinaus. Er ist dem Feuer ihrer falschen Götter entgangen und ihren Waffen, die vor Intis Herrlichkeit vergehen werden. Solange er bei uns ist, ist auch der Sieg mit uns. Und morgen früh, wenn die Sonne über den Bergen erscheint, werden wir den Feind vernichten!«
Er rief diese Worte laut und strahlte dabei solch eine Überzeugungskraft aus, dass sogar Kemaq ihm beinahe geglaubt hätte. Die Krieger brachen in lauten Jubel aus.
Kemaq begriff erst nach und nach, dass er an diesem Tag nicht sterben sollte. Man gab ihm zu essen und zu trinken, und es schien, als suchten die Krieger seine Nähe. Als er danach fragte, sagte einer: » Es heißt, der Segen des Sonnengottes begleite dich auf all deinen Wegen. Ich hoffe, dass nun ein wenig davon auf mich übergeht.«
Endlich kam auch Qupay zu ihm. Er trug den Mantel eines Priesters und einen Helm mit vielen Federn, woraus Kemaq schloss, dass sein Bruder in der Rangordnung nach oben geklettert sein musste. Die Krieger gehorchten sofort, als er sie bat, ihn mit Kemaq allein zu lassen.
» Du hast es also geschafft, Bruder«, begann Qupay etwas steif.
Kemaq schob die Schale mit Bohnen zur Seite. Er saß unweit des kleinen Weihers, der der Grund war, dass man hier ein Botenhaus und jetzt auch das Lager angelegt hatte. » Ich habe es geschafft, Jatunaq nicht«, erwiderte er knapp.
» Ist er wirklich tot?«, fragte Qupay, und Kemaq sah Angst in seinen Augen.
Er schüttelte den Kopf. » Ich weiß es nicht. Er hat mich gerettet, denn er hat unsere Verfolger aufgehalten. Ich habe jedoch nicht gesehen, ob sie ihn getötet oder vielleicht nur gefangen haben. Jedoch habe ich wenig Hoffnung, denn diese Fremden sind grausam.«
» Wir werden sie morgen besiegen, und dann werden wir auch unseren Bruder aus ihren Händen befreien«, sagte Qupay.
Kemaq starrte ihn an. Mit seinem federgeschmückten Helm und dem prachtvollen gelben Mantel kam ihm sein Bruder auf einmal sehr fremd vor. » Ich sehe, du bist in der Gunst des Hohepriesters gestiegen, Qupay«, sagte er und konnte nicht verhindern, dass es wie eine Anklage klang.
» Ich würde Mantel und Helm hergeben, wenn ich unseren Bruder damit zurückbringen könnte, Kemaq«, erklärte Qupay mit gepresster Stimme.
» Jetzt ist es zu spät, und ich glaube auch nicht, dass wir morgen siegen werden.«
» Aber Kemaq!«, rief sein Bruder erschrocken. » Das darfst du nicht sagen, nicht einmal denken. Wir haben die Zeichen gedeutet, sie waren günstig. Der Segen Intis ruht auf unserem Kampf.«
» Du hast auch gesagt, dass er auf mir und Jatunaq ruht – und wo ist unser Bruder jetzt?«, fuhr ihn Kemaq an.
Qupay wurde leichenblass, dann fasste er sich und erwiderte mit plötzlicher Kälte: » Du hast selbst gesagt, dass er vielleicht nur gefangen ist, und du, du bist zurückgekehrt, auch wenn es mir jetzt umgekehrt …« Qupay beendete den Satz nicht und fuhr stattdessen fort: » Ist es denn nicht offensichtlich, dass Inti seine Hand schützend über dich hält? Und sicher auch über Jatunaq! Warum nur ist dein Glaube so schwach, kleiner Bruder?«
Kemaq antwortete nicht, denn er hatte etwas gesehen. Es war ein schwarzer Punkt, der sich am blauen Abendhimmel zeigte. Er kam schnell näher. Qupay bemerkte offenbar seinen gebannten Blick, denn er drehte sich ebenfalls um. Jetzt war aus dem Punkt schon ein Wesen mit weit gespannten Flügeln geworden. Plötzlich ertönten Warnschreie im ganzen Lager, und die Krieger griffen zu den Waffen. Der Ankay Yaya stieß auf das Lager herab, und Kemaq konnte hören, wie er die Luft einsog. Er wusste, was jetzt folgen würde. Die Krieger liefen nicht davon, selbst dort nicht, wo der Gott niederstieß. Tapfer stellten sie sich ihrem Schicksal.
Mila konnte durch die Haut des Drachen fühlen, wie sich seine mächtigen Lungen mit Luft füllten. Sie klammerte sich an ihren Sattel, und sie hörte Felipe hinter sich aufstöhnen. Der Sturzflug war schnell und steil, und an den Schreien der Männer dort unten erkannte sie, dass sie dem Boden gefährlich nahe kamen. Endlich entfaltete Nabu die Schwingen, fing
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