Drachensturm
wollt ihnen auf offenem Feld entgegentreten?«, rief der Marschall ungläubig. » Ich hatte angenommen, Ihr wolltet sie wenigstens hier auf den Mauern erwarten, denn dort wäre Euch der Sieg halbwegs sicher, und Eure Verluste wären gering. Bedenkt bitte, dass der Feind weit mehr als zweitausend Krieger hat, und Ihr habt kaum zweihundert.«
» Sind alle Männer Eures Ordens so furchtsam, di Collalto?«, fragte Hernando Pizarro höhnisch.
» Hütet Eure Zunge, Hernando, sonst schneide ich sie Euch noch ab!«, fuhr ihn der Marschall an.
Mila hörte, dass Don Hernando sein Schwert schon halb aus der Scheide gerissen hatte, bevor jemand ihm in den Arm fiel.
» Meine Herren, beruhigt Euch bitte wieder«, rief Xavier de Paz, der Schatzmeister des Kaisers, und fügte tadelnd hinzu: » Ihr seid doch keine Schildknappen mehr!« Und als die Schwerter wieder an ihrem angestammten Platz waren, fuhr er fort. » Ich bin außerordentlich begierig, mehr über Don Franciscos Plan für diese Schlacht zu erfahren.«
Sie marschierten ohne Licht und hielten sich dicht am Fuß der Berge. » Es ist ein Umweg«, stellte Kemaq zum wiederholten Male fest. Der Boden war uneben und voller trockener Rinnen, die jetzt, in der Nacht, schwer zu erkennen waren, und so stolperten die Krieger aus Tikalaq in einer langen Doppelreihe durch die Dunkelheit, denn der Hohepriester hatte Fackeln untersagt.
» Huaxamac hat entschieden, die Straße zu meiden, und das scheint mir klug, denn hier wird uns der Feind nicht vermuten«, entgegnete Qupay. Die beiden Brüder marschierten nebeneinander, und Qupay hatte nicht versäumt, darauf hinzuweisen, was für eine Ehre Kemaq damit zuteilwurde, in der Nähe der Priesterschaft laufen zu dürfen.
» Unser Feind kann fliegen«, erwiderte Kemaq jetzt auf Qupays letzte Bemerkung, » er wird uns nicht länger suchen müssen als ein Kondor, der auf Aas aus ist.«
» Sprich wenigstens leise«, bat Qupay mit besorgtem Blick.
» Aber wir verlieren nur Zeit«, meinte Kemaq. » Würden wir auf der Straße marschieren, könnten wir die Fremden vielleicht vor dem Morgengrauen überraschen, und darin sähe ich die einzige, kleine Hoffnung auf Erfolg.«
» Mit deinem Gerede entmutigst du die Krieger«, wies ihn Qupay leise zurecht.
Kemaq seufzte, und er fragte sich, ob der Hohepriester diesen Umweg vielleicht deshalb befohlen hatte, um den Kriegern den Anblick der zerstörten Botenhäuser und verbrannten Chaski zu ersparen, denn das hätte die Männer vielleicht mehr erschüttert als das Gerede eines Läufers, der von solchen Dingen doch angeblich nichts verstand.
» Was glaubst du«, fragte er seinen Bruder etwas später, » warum hat dein Hohepriester darauf bestanden, dass ich euch begleite?«
» Willst du denn nicht dabei sein, wenn wir die Fremden zurück ins Meer treiben?«, fragte Qupay.
Kemaq verkniff sich die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, und erwiderte stattdessen: » Ich wäre lieber zu Hause, da, wo wir alle sein sollten. Seit fünf Tagen hetze ich zwischen Tikalaq und Chan Chan hin und her. Ich bin müde, meine Beine sind schwer. Ich glaube, ich bin noch nie in meinem Leben so viel und so weit gelaufen.«
» Vielleicht findest du in Chan Chan etwas Ruhe, wenn wir die Stadt erst zurück erobert haben«, meinte Qupay und senkte seine Stimme. » Das Wichtigste weißt du ja noch gar nicht – der Sapay Inka ist auf dem Weg hierher!«
» Atahualpa?«, rief Kemaq und war so überrascht, dass er nur den einfachen Namen des Sapay Inka benutzte. Aber Qupay ahndete diesen Frevel nicht, sondern antwortete: » Er soll schon kurz vor Huamachuco sein, und er bringt viele tausend Krieger mit.«
» Aber – warum warten wir dann nicht auf ihn und sein Heer?«, rief Kemaq.
» Warten? Großer Ruhm und hohe Belohnung werden dem zuteil, der die Fremden besiegt und sie für den Sapay Inka gefangen nimmt. Warum also darauf warten, dass andere diesen Ruhm ernten?«
» Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir etwas anderes als den Tod ernten«, erwiderte Kemaq düster.
Qupay blickte sich vorsichtig um und schüttelte den Kopf. » Es ist gut, dass dich niemand gehört hat. Huaxamac weiß zwar, dass der Segen Intis auf dir ruht, weshalb er dich wohl auch in seiner Nähe haben will, aber du solltest es nicht übertreiben, kleiner Bruder.«
Kemaq seufzte. Kleiner Bruder. So hatte Jatunaq ihn auch immer genannt.
Nabu hatte Mila auf die Mauer beim Tor getragen, und jetzt lauschte sie auf den Abmarsch der Spanier. Sie
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